Erfolg
sprach von dem Schmachfrieden von Versailles, von den frechen Advokatentricks des Franzosen Poincaré, von internationaler Verschwörung, von Freimaurern und Talmud. Was er sagte, war nicht unbekannt, aber es wirkte neu durch die Urwüchsigkeit des Dialekts, durch die Kraft des Vortrags. Voll Bewunderung dann und Ehrfurcht in der Stimme sprach er von dem italienischen Führer Mussolini, wie der sich kühn der Stadt Rom und der Apenninenhalbinsel bemächtigt hatte. Seine Tatkraft, rief er, solle auch den Bayern leuchtendes Vorbild sein, und er verhöhnte die Reichsregierung und prophezeite den Marsch auf Berlin. Malte aus, wie die verrottete Stadt den Wahrhaft Deutschen in die Hände fallen werde, ohne Schwertstreich, sich schon beim Anblick der heranziehenden echten Söhne des Volkes die Hosen bekleckernd. Es war lautlos still, während er von dem Marsch auf Berlin sprach. Alle warteten, daß er einen bestimmten Tag verkünden werde. Cajetan Lechner hielt mitten im Schneuzen inne, um nicht zu stören. Allein der Führer drückte sich nicht grob und klar aus wie die Kursnotiz des Dollars, er sagte es poetisch. »Noch vor der Baumblüte«, rief er, auf die Fahnen mitdem exotischen Emblem weisend, »werden diese Fahnen sich bewähren.«
Noch vor der Baumblüte. Das war eine Verheißung, die sich den Menschen ins Herz grub. Die Leute lauschten benommen, glücklich. Der prächtige Schall Rupert Kutzners, seine bewegte Mimik riß sie mit. Sie vergaßen, daß ihre paar Wertpapiere wertlos waren, die Versorgung ihres Alters gefährdet. Wie dieser Mann es verstand, ihren Träumen Worte zu geben. Wie seine Hände groß durch die Luft fegten, gewaltig aufs Pult schlugen, sich markig reckten, wohl auch ironisch Bewegungen imitierten, mit denen die schlichteren Witzblätter jener Zeit Juden charakterisierten. Glückselig hingen sie an seinen Gesten, zwangen, wenn sie die Maßkrüge auf den Tisch setzten, die schweren Finger zu besonderer Behutsamkeit, damit nicht das Geräusch eines der köstlichen Worte übertöne. Manchmal hob der Führer die Stimme, auf daß die Zuhörer merkten, jetzt sei es an der Zeit, zu klatschen. Die Pause des trommelnden Applauses dann benutzte er, den Schweiß von der Stirn zu wischen, den Bierkrug, auch das mit großer Geste, zu ergreifen, tief zu trinken.
Einmal sprach er von dieser traurigen Berliner Regierung, die gegen die berechtigte Empörung des Volkes keine andere Waffe habe als ein Ausnahmegesetz. »Wir Wahrhaft Deutschen«, rief er, »wenn wir an der Macht wären, wir brauchten kein Ausnahmegesetz.« – »Was würdet denn ihr tun?« rief eine wohlklingende, sonore Stimme dazwischen. Rupert Kutzner schwieg einen Augenblick. Dann in den lautlos gespannten Saal hinein, leise, mit einem träumerischen Lächeln, sagte er: »Wir würden unsre Gegner legal hängen lassen.«
Es machten aber die Wahrhaft Deutschen vier Prozent der Bevölkerung aus, vierunddreißig Prozent waren neutral: die Gegner waren zweiundsechzig Prozent.
Alle im Saal lächelten jetzt, das gleiche, nachdenkliche Lächeln wie der Führer. Sie sahen ihre Gegner am Galgen hängen oder an Bäumen, mit blauen, vorquellenden Zungen,der Lechner sah den Galizier hängen, den Käufer des gelben Hauses, die Frau Hautseneder die beiden Reisenden mit dem Staubsauger, die beiden Reisenden die Frau Hautseneder, und alle tranken tief und befriedigt aus den großen, grauen Krügen.
Auch der Rochus Daisenberger sah gewisse Leute an Bäumen hängen, Mitglieder der Gemeinde Oberfernbach, die ihm eine Rolle in den heiligen Spielen vor der Nase weggestohlen hatten, die Gauner, die miserablen. Er sah sie hängen, und er sah sich helfen bei dieser Prozedur. Er hatte auch in Oberfernbach dem Judas immer sachkundige Ratschläge gegeben. Ja, der Apostel Petrus war nach München übersiedelt. Seine innere Stimme hatte schon recht gehabt; es war in diesen Zeiten für einen Propheten, der in seinem Dorf nicht gebührend geachtet wurde, in der Stadt etwas zu machen. Er hatte seine lieben Pferde aufgegeben und in München eine Garage errichtet. Wenn nichts andres da war, konnte man auch mit dem Motor Zwiesprach halten; auch der Motor war eine Kreatur Gottes. Die Garage ging nicht schlecht, trotz der notigen Zeiten, denn der Rochus Daisenberger war beliebt bei den Patrioten, sozusagen ein Pfeiler der Partei, ein guter Verbindungsoffizier mit dem flachen Land.
Und Rupert Kutzner schmetterte seine Rede weiter. Rauch und Hitze fochten ihn nicht an. Seine
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