Erfolg
Lunge hielt durch. Sie war zuverlässig wie eine Maschine, das kostbarste Gut der Partei, der Führer betreute sie sehr. Bei jeder seiner Reden mußte Konrad Stolzing zugegen sein, der Hofschauspieler. Vor dreißig Jahren hatte der als Romeo, eine Figur des Bühnendichters Shakespeare, als Ferdinand von Walter, eine Figur des Bühnendichters Schiller, die Münchner begeistert. Vor fünfzehn Jahren war er ins Charakterfach übergegangen, jetzt widmete er sich nur mehr der künstlerischen Ausbildung des Nachwuchses. Ein glücklicher Stern hatte den Staatsmann Kutzner und den Künstler Stolzing zusammengeführt. Hatte nicht auch hundertzwanzig Jahre vorher ein berühmter französischer Führer mit einem Bühnenkünstler zusammengearbeitet, miteinem gewissen Talma? Konrad Stolzing widmete sich seinem großen Schüler mit Hingebung. Lehrte ihn, wie man durch ein menschenvolles Lokal geht, unbewegten Gesichts, unbefangen, unberührt von den tausend Blicken, wie man würdig schreitet, mit den Zehen zuerst, nicht mit der Ferse auftretend. Brachte ihm bei, wie man mit dem Atem haushält, wie man durch das Rollen des Buchstaben R die Aussprache deutlich macht. Unterwies ihn in der Kunst, Schönheit und Würde des Auftretens zu erzielen. Aufblühte der alte Mann an der Begabung und dem treuen Fleiß des Schülers. Täglich, trotz aller Überlastung, übte der mit dem Schauspieler. Schon konnte der Führer acht Stunden hintereinander sprechen, ohne zu erlahmen, ohne Verstoß gegen die Grundrezepte. Der Alte mit dem eindrucksvollen Römerkopf saß in jedem Vortrag des Führers, kontrollierte Atemführung, Aussprache des R , kontrollierte Schreiten, Trinken, Sprechen des Führers, ob es Schönheit und Würde habe.
Er fand an seinem Schüler nichts auszusetzen. Klar trotz des Rauchs schmetterte Kutzners Stimme. Alles klappte, alles kam . Der Schauspieler war der Mann gewesen, der zwischengerufen hatte, wie denn die Wahrhaft Deutschen ihre Gegner erledigen würden. Er hatte die Antwort mit Kutzner studiert, die wirkungsvolle Pause, das nachdenkliche Lächeln. So hatte er gelächelt, vor fünfundzwanzig Jahren, in der Rolle des Prinzen Hamlet von Dänemark, einer Figur des Bühnendichters Shakespeare. Das Lächeln kam , es wirkte, ganz wie vor fünfundzwanzig Jahren.
Der Führer hielt seine Rede noch in drei andern großen Biersälen: im Spatenbräukeller, im Münchner Kindlkeller, im Arzbergerkeller. Dreimal noch marschierte er, prunkvoll geleitet von seinem Stoßtrupp, durch Bierdunst und Geschrei. Dreimal noch tat der Schauspieler seinen Zwischenruf und lächelte Rupert Kutzner, wie Hamlet-Stolzing gelächelt hatte auf der Bühne des Münchner Hoftheaters. Dreimal noch, während er auf die Fahnen mit dem Hakenkreuz wies, prophezeite er, man werde nach Berlin marschieren »noch vor derBaumblüte«. – »Noch vor der Baumblüte«, scholl es zwölftausend Münchnern dräuend, lieblich, verlockend in die Ohren. »Noch vor der Baumblüte«, grub es sich zwölftausend Münchnern ins Herz.
9
Aus der Geschichte der Stadt München
In jenen Jahren war eines der beliebtesten Mittel, den politischen Gegner zu widerlegen, seine Ermordung. Die Sitte, den politischen Gegner umzubringen, hatte sich vor allem in Deutschland, Italien, Rußland und auf dem Balkan eingebürgert. In Deutschland waren es vornehmlich Anhänger der Rechtsparteien, die, den Führern der Linken in der Handhabung geistiger Waffen nicht gewachsen, sich dieses Mittels bedienten.
In München war die Widerlegung der Argumente der Linksparteien durch Tötung derer, die sie propagierten, besonders beliebt. Führer der Münchner Revolution am 7. November des letzten Kriegsjahrs war ein gewisser Kurt Eisner, ein in Berlin geborener jüdischer Schriftsteller. Am 21. Februar des nächsten Jahres, nachdem dieser Eisner als Ministerpräsident in Bayern Ordnung geschafft hatte, schoß nach der Lektüre klerikaler Zeitungen ein junger Leutnant, ein gewisser Graf Arco, ihn nieder. Das geschah auf dem Weg zum Parlament, in dessen Hände Eisner sein Amt zurückgeben wollte. Soldaten umzäunten die Pflastersteine, die rot waren von dem vergossenen Blut des Mannes Eisner, mit einer Pyramide von Gewehren, die sie mit Blumen schmückten. Viele weinten. Fünfzigtausend Münchner brachten den Ermordeten zu Grabe. Acht Monate später war der Mörder sehr populär. Er wurde zum Tode verurteilt, zu Festungshaft begnadigt, während der Haft tagsüber als Praktikant auf einem Gut in der Nähe
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