Erfolg
noch heftiger als der alte Lechner. Da wurde es der Anni aber zu dumm. Der Kaspar machte sich’s leicht. Der Kaspar machte den feinen Herrn. Der Kaspar verzichtete großartig auf den Fünften Evangelisten. Eines aber mußte doch für Miete und Essen sorgen. Fünfzehn Franken für zwölftausend Mark zu kriegen, war für den Reindl vielleicht kein Geschäft; aber für die Anni Lechner war es ein Wintermantel und zweihundert Stunden Freiheit von Kälte, Regen, Schnupfen. Wenn sie schließlich hereingefallen war, der Kaspar hatte ihr nicht viel Gelegenheit gegeben, Banknoten zu studieren.
Der Kaspar hatte großartig geantwortet. Doch was die Anni sagte, war nichts anderes, als was ihn schon lange verfinsterte, wenn er es auch nicht wahrhaben wollte. Es kratzte ihn, daß die Anni ihre resche Art nicht mehr beibehaltenkonnte, daß sie manchmal verfallen aussah, daß sie offenbar zu wenig zu essen hatte und kein Geld für Kleider. Sie lamentierte nicht; aber sogar ein so schlechter Beobachter wie er mußte bemerken, daß sie sehr abgerissen war. Nein, er konnte sich seine Haltung nicht länger leisten. Seine Würde war ein Privatspaß, der Balladenzyklus, an dem er herummurkste, von dem Einzigen und der Masse, war ein Privatspaß. Er wurde in zwei Monaten dreißig; es war Zeit, diese Späße aufzugeben. Er hat das Angebot des Reindl, nach Moskau zu reisen, großartig abgelehnt. Wenn er jetzt etwas haben will, muß er schon zu dem Reindl gehen. Das ist verflucht unangenehm.
In diese grantige Stimmung hinein platzte der Benno Lechner mit seinen Sorgen. Er sah bald, daß heute mit dem Kaspar nicht gut reden war, saß da, druckste herum, sprach von Allgemeinem. Auch da war der Kaspar heute so scharf, daß man ihn am besten allein reden ließ. Er schimpfte auf alles, verstieg sich in Theorien, die mehr heftig als richtig waren. Sowjet-Rußland, erklärte er, werde infolge der Überspannung der Parteidiktatur und infolge der bornierten Säuberung der Partei durch die Machthaber mehr und mehr zum Klassenstaat, während die westlichen Demokratien behutsam, doch stetig auf den klassenlosen Staat hinarbeiteten. Er wurde in der Auslegung von Vorgängen und von Dogmen immer kühner. Schließlich prägte er den mehr für einen Refrain seiner Balladen als für die Propaganda geeigneten Satz: der Marxismus bezwecke nicht die Verteilung des Reichtums, sondern der Armut, nicht die Verbreitung der Freiheit, sondern der produktiven Unfreiheit.
Der Beni, erschreckt, ließ ab vom Theoretischen. Als er aber auf seine eigene Angelegenheit überleiten wollte, schnitt der Genosse Pröckl, ergrimmt mehr über sich selbst als über den Beni, scharf ab: er wolle nichts von Einzelschicksalen hören, die Zeit der Einzelkonflikte sei vorbei; er selber wolle kein Einzelschicksal, er wolle aufgehen in der Masse. Diese Worte klangen wunderlich im Mund eines so schroffen, kantigenMenschen. Der Benno Lechner nahm sie für puren Hochmut, wurde, sonst unbedingter Anhänger Pröckls, seinesteils schwierig und schwieg, als der Pröckl leise Einrenkungsversuche machte, störrisch und verstimmt.
Die beiden schweigsamen Männer atmeten auf, als die beredte Anni kam. Menschenkundiger als Kaspar hatte sie bald heraus, daß den Bruder was drückte. Sie schlug vor, sie wolle einmal wieder mit ihm den Vater besuchen, und die Geschwister machten sich auf den Weg zum Unteranger. Der Anni jetzt statt dem Pröckl sprach Benno Lechner von seinen Sorgen. Sie hörte interessiert zu, sie billigte es herzhaft, daß die Kassierin Zenzi den Bruder so resolut vor die Wahl stellte. Es war gut für den Beni, wenn er gezwungen war, sich in diesen ungewissen Zeiten auf etwas Sicheres zu legen. Sie riet ihm dringend und vielwortig zu; sie freute sich schon darauf, seinem Kind die Taufpatin zu machen.
Bei dieser Gelegenheit vertraute sie ihm etwas an. Sie sei daran gewesen, von dem Kaspar ein Kind zu kriegen. Aber sie habe dem Kaspar nichts davon gesagt, denn der, bei aller Gescheitheit, wäre mit so was nicht fertig geworden. Vielmehr sei sie still zu einem Arzt gegangen und habe sich das Kind schön stad wegnehmen lassen. Sie hätte es lieber ausgetragen. Aber wer sollte es ernähren und fortbringen in einer solchen Sauzeit? Es war keine schöne Welt mit Inflation und lauter so damischen Geschichten, wo jeder dran glauben mußte, wenn er nicht ganz gerissen war. Es hatte noch eine Schwierigkeit dabei gegeben. Der Arzt, an den sie empfohlen war, ein Mann mit einem goldenen Herzen,
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