Erfolg
der es einem armen Hascherl schließlich sogar umsonst machte, der war, eben deshalb, von schuftigen Konkurrenten angezeigt worden. Und weil er ein Roter war, ein Sozialist, hatte man ihn auch eingesperrt. Sie mußte also zu einem Arzt der Großkopfigen gehen. Der war nett und wohlwollend; aber er verlangte ausländisches Geld. Bloß weil es ihr dadurch so knapp hinausging, war sie auch in die Geschichte mit dem Mantel hineingerutscht.
Der Beni hörte sich das an. Er sagte wenig. Im stillen fand er es anerkennenswert, wie couragiert so ein Frauenzimmer mit ihren Sachen fertig wurde. Die Anni ihresteils betrachtete den Bruder vergnügt von der Seite. Er hatte sich das Haar lange nicht schneiden lassen. Sie nahm mit stillem Spaß wahr, daß er jetzt einen Ansatz von Schläfenbart hatte, der ihn dem alten Lechner ähnlicher machte.
Sie kamen zum Unteranger. Cajetan Lechner hatte das Haus renovieren lassen; aber er hatte da keine so glückliche Hand wie mit seinen alten Möbeln. Der neue Aufputz wirkte gezwungen, das Haus hatte vorher, ein wenig verfallen, schöner hergeschaut. Der Alte war froh, daß er die beiden einmal dahatte; er schimpfte, daß man die Ehre so selten habe. Er war verändert, seitdem er bei den Wahrhaft Deutschen war, großspuriger. Früher, wenn er sagte, er werde schon noch hochkommen, klang das wie eine Entschuldigung, daß er es bis jetzt zu nichts gebracht hatte. Neuerdings aber trumpfte er geradezu auf mit diesem Satz. In seinem Herzen hoffte er, die patriotische Bewegung werde ihm das gelbe Haus doch noch verschaffen; ja, wenn wir nach der völkischen Erneuerung zur Erzwingung eines größeren Deutschlands mit Holland Krieg führen, dann kann er vielleicht sogar den Holländer, den notigen, zwingen, das Schrankerl wieder herauszugeben. Cajetan Lechner war, seitdem er bei dem Kutznerrummel mitmachte, richtig spinnert geworden, man konnte nicht mehr mit ihm reden. Er verlangte aber, daß man mit ihm rede; er konnte nicht schlafen, wenn er nicht vorher dem Beni, dem roten Hund, dem roten, heimgeleuchtet hatte. Der Alte mit dem Kropf und dem großen Schläfenbart und der Junge mit dem kleineren Schläfenbart saßen zusammen, und der Junge ließ sich geduldig ausschimpfen. Er wird den Petersberg schlucken mit dem giebeligen Standesamt, und dann wird er seine Ruhe haben.
Der Pröckl mittlerweile bereute seine kindische Hoffart dem Benno Lechner gegenüber. Was er gesagt hatte, war richtig; er hatte es bloß schief und geschwollen herausgebracht. Der Ingenieur Kaspar Pröckl litt in Wahrheit an seiner Persönlichkeit.Er wollte heraus aus ihr, wollte ein Atom unter vielen werden. Immer ragte ein Stück von ihm heraus über die andern. Das wollte er los sein, das mußte fort.
Es verdroß ihn, daß der Beni in berechtigtem Ärger gegangen war. Er nahm den Zyklus Balladen vor und versuchte sich an einer neuen: »Von der Armut«. In Versen klangen seine Ideen viel vernünftiger als in Prosa, wo man sie umständlich argumentieren mußte. In der Villa Seewinkel hatte er geradezu den Kasperl gemacht für dieses Mammut aus Kalifornien. Das Mammut hatte ihn behandelt wie einen Säugling, und mit Recht, das Mammut war nicht dumm. Dumm war, was er gesagt hatte. Aber die Ballade »Von der Fairneß« war geraten. Kaspar Pröckl nahm sein Banjo, klimperte leise. Verse kamen ihm nur mit der Melodie. Auch die Ballade »Von der Armut« geriet.
Er sang sich die Ballade vor, sie gefiel ihm. Allein in dem großen Atelier, mit seiner gellenden Stimme, schrie er die Ballade »Von der Armut«. Er war ein Stolzer. Seitdem er die Niederlage vor dem Dollarscheißer erlitten hatte, sang er keinem mehr seine Balladen, nicht einmal der Anni. Überhaupt hatte er Geheimnisse jetzt vor der Anni.
Heimlich, spitzbübisch, ging er an eine gutverschlossene Schublade, sperrte sie auf. Sah sich nach der Tür um, beinahe wie der Maler Landholzer, riegelte sie zu. Holte aus der Schublade heraus die Zeichnung »Der Westöstliche Gleiche«, das Manifest »Über die Wahrheit«, das Holzstück mit dem »Bescheidenen Tier«.
Betrachtete diese Dinge: die Zeichnung, die Skulptur, das Schriftstück, betrachtete sie zärtlich, mit Inbrunst, mit Lust. Schaute hinüber zu dem Zeichentisch, auf dem Entwürfe lagen, Konstruktionen seiner technischen Arbeit. Lachte laut, verächtlich. Sang mit schriller Stimme abermals, allein, sehr laut, herausfordernd die eben gewordene Ballade »Von der Armut«. Und abermals gefiel sie ihm.
Er war vergnügt.
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