Erfolg
den Nachtdienst. Martin Krüger hört, wie er gähnt, wie er die Zeitung zusammenfalzt. Pockorny ist alt, sie werden ihn wohl bald pensionieren. Pockorny ist ein alter, stumpfer Mensch, er wundert sich über nichts mehr.
Wie damals das blonde Dienstmädchen vor dem Ofen hockte, war er knapp vierzehn. Am schwächsten in dem Goya-Buch ist der Abschnitt über die Tauromachie. Dasmuß er ganz ändern. Nein, er war noch nicht vierzehn damals.
Es ist nicht das Herz, aber es ist ihm verdammt schlecht. Es wird sicher besser, wenn er sich erbrechen kann. Er wirft die Arme hoch. Mit erhobenen Armen, die Handflächen zur Decke gekehrt, taumelt er zum Kübel, hin und her wackelnd wie ein Besoffener. Herrgott, ist das ein langer Weg zum Kübel. Das hört ja nicht auf. Sind es drei Sekunden oder 427 Tage? Jetzt könnte man die Uhr des Triebschener brauchen. Zeit, wo ist dein Stachel? Triebschener, wo ist deine Uhr? Wenn ich vorher kotze, macht es auch nichts. Aber es ist besser, ich erreiche den Kübel. Dann habe ich nicht die ganze Nacht den Gestank.
Es ist nicht das Herz, es ist nicht das Herz, es ist nicht das Herz. Ich will nicht, daß es das Herz ist. Es sind nur 427 Tage, und wenn es gut geht, sind es nur mehr 27 Tage, und wenn es hoch kommt, ist es Mühe und Arbeit gewesen. Die Zähne sitzen mir so locker; geradezu auffallend ist das. Aber die Nummern habe ich doch alle gefunden. Es ist schwer, aus dem Gedächtnis einen Katalog zu machen; aber ich hab ihn doch kleingekriegt.
Sehen Sie, Herr Triebschener, jetzt habe ich auch den Kübel erreicht. Ich werde sicher durchkommen. Nur schade, daß ich jetzt gar nicht mehr kotzen muß. Ich werde mich etwas auf den Kübel setzen und ausruhen. Wenn es hoch kommt, ist es Mühe und Arbeit gewesen. Atmen, ruhig atmen, gleichmäßig atmen. Zwerchfell, Brust. Es ist nicht das Herz. Einatmen, Mund zu. Ausatmen, Mund auf. Es ist nicht das Herz. Gleichmäßig. Ich will nicht, daß es das Herz ist. Ich will durchkommen. Zwerchfell, Brust. Einatmen, ausatmen. Ein, aus. Gleichmäßig.
Er wackelt hin und her mit dem Oberkörper, mit dem Kopf. Das ist lustig, wie der Schatten des Kopfes das Schattengitter oben zudeckt, wieder freigibt. 669 : 427, es stimmt immer noch nicht. Er muß noch einmal anfangen. Er will das ganz genau wissen. Wie kann ein Mann in seiner Lage etwaserreichen, wenn er nicht ganz klar sieht? Er rechnet. Er schreibt Ziffern in das Schattenfenster. Und schreibt und schreibt mit weißer Hand. Wieso: weißer Hand? Es heißt ganz anders. Etsch, und der Arzt hat doch recht: es fehlt ihm nichts am Herzen. Es ist nicht das Herz.
Anna Elisabeth Haider. Er schreibt: Anna Elisabeth Haider. Und noch einmal: Anna Elisabeth Haider. Die war an allem schuld. In jeder Hinsicht und an allem. Hätte er ihr Bild nicht in die Galerie gehängt, alles wäre gut gewesen. Hätte er nicht in ihrem blöden Prozeß ausgesagt, alles wäre gut gewesen. Die ist an allem schuld. Und dabei hat er sie nicht einmal gehabt. Das ist ja ganz blöd, daß er sie nicht einmal gehabt hat. Warum hockt er denn hier auf diesem stinkigen Kübel, wo er sie nicht einmal gehabt hat? Eine rasende Wut packt ihn. Er ist ja ein solcher Idiot, ein solches achteckiges, gußeisernes Rindvieh ist er, daß er sie nicht gehabt hat. Blöd, blöd, zehnmal blöd.
Dies war der letzte Gedanke des Mannes Martin Krüger, der in Worten wiedergegeben werden kann. Dann nämlich erhob er sich vom Kübel. Japste. Vielleicht auch wollte er rufen; dem Wärter Pockorny, irgendwem. Aber er rief nicht. Er hob nur die Arme zur Decke, die Handflächen nach oben. Dann stürzte er nieder, nach vorne, halbschräg, den Kübel umreißend.
Der fallende Kübel machte Geräusch. Der Wärter Pockorny horchte hoch. Doch da er ein stumpfer Mann war, und da kein weiteres Geräusch folgte, gähnte er noch einmal und blieb sitzen.
Da lag der Mann Krüger, die Arme nach vorne, im Hemd. Der Kot des Kübels rann um ihn, langsam, dann hielt er an.
Es war ein Gerücht durchgesickert, vielleicht ging es von Amerika aus, die Befreiung des Mannes Krüger stehe bevor. Dies bewirkte, daß viele sich von neuem mit ihm beschäftigten. Kunsthistoriker schrieben über ihn und über seine Meinungen. Frauen holten alte Briefe von ihm vor. Leute, die gern Bilder sahen, lasen seine Bücher. Ein Ministerialreferentzerbrach sich den Kopf, in welcher Form am besten man die Amnestierung kundgeben könne. Viele Leute dachten nach über Martin Krügers Schicksal, seine Geschichte
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