Erfolg
ganze, zähe Lebenskraft auf seine Uhrmacherei, zufrieden, daß man ihn da nach Belieben werkeln ließ. Wenn er im Hof hertrottete, der rosige Mann neben dem grauen Krüger, suchte er dem begreiflich zu machen, was das für eine Lust sei, Rädchen, Federchen, Zähnchen so zu fügen, daß sie richtig ineinandergreifen, eins ins andere. Wenn so ein altes, rostiges, kaputtes Gewerk wieder angeht, Mensch, dann spürst du doch, daß du lebst. Wenn das anhebt, rasselt, schlägt, wenn da einem nicht die Hand zuckt, wenn da einer nicht das Ohr dafür hat, das Herz: dann ist er weniger als ein Tier. Wie er damals in Münster die Turmuhr wieder in Gang gebracht hat, wie sie nach vierhundert Jahren Rost wieder anging, Mensch, da sieht eines doch einen Sinn. Der alte Kaiser Karl hielt eine Welt in Ordnung; aber seine Uhren in Ordnung halten hat er nicht können, sosehr er darum geschuftet hat. Der Triebschener hätte ihm können helfen. Wenn die von der Regierung dem Hugo Triebschener ein bißchen zuschauen wollten bei seiner Arbeit, dann sähe manches anders aus im Reich. Ordnung muß sein in der Welt, und Ordnung ist nicht, wenn deine Uhr nicht stimmt. Zuletzt gehen wir allevor die Hunde, das ist so eingerichtet: aber wenn was dableibt, was von alleine weiterläuft, Mensch, dann siehst du doch, daß die Hauptsache bei dir gestimmt hat. Martin Krüger trottete neben dem Uhrmacher her, hörte ihm zu, nickte.
Es war Frühling. Bis nach Odelsberg kam mit dem Südwind ein dünner Geruch Italien. Dem Triebschener war im Volkskundemuseum noch im Winter eine alte, große merkwürdige Taschenuhr übergeben worden, mit der er sich abplagte. Er pflegte seinen Uhren Namen zu geben, diese hieß Klara. Klara wehrte sich verdammt hartnäckig, aber er wird sie kleinkriegen. »Noch vor der Baumblüte«, und er lachte. Krüger schaute den Kameraden von der Seite an; war das denkbar, daß der zwanzig Jahre älter war als er?
Der Mann Krüger also lag schlaflos. Die Zelle war überheizt. Nach Mitternacht wurde das besser; aber um diese Stunde ist es fast unerträglich. Von der Ortschaft Odelsberg her kam leises, undeutliches Geräusch. Um diese Jahreszeit pflegte man dort lange aufzubleiben.
Der Triebschener wird also die Uhr Klara kleinkriegen. »Es hat Sinn, Mensch.« Es hat keinen Sinn, Mensch. Wenn du eine Million kaputte Uhren reparierst, was hast du dann? Wenn du auf deiner Uhr abzählst: jetzt ist es eine Minute, was weißt du dann? Weißt du dann, wie lang eine Minute ist? Niemand weiß das. Es liegt an der gewiß auch Ihnen bekannten Relativität der Zeit, Herr Triebschener.
Ich zum Beispiel mache Bücher. Auf die schauen soundso viele Leute, und dann stellen sie fest, wieviel es bei dem und jenem Maler geschlagen hat. Wahrscheinlich stellen sie dann was Falsches fest. Wenn Sie wüßten, Herr Triebschener, wie Wurst es ist, ob Ihre Uhren richtig gehen.
Was wird sein, wenn er freikommt? Wird er dann weiter Bücher schreiben? Es ekelt ihn, wenn er daran denkt. Wenn es nicht so verdammt heiß wäre, wäre es am besten, für immer hier hockenzubleiben. Was soll schon kommen? Man könnte nach Rußland gehn. Aber wenn jetzt einer sagte: Fahr nach Moskau, fahr eine Nacht, noch eine Nacht, unddann wirst du »Josef und seine Brüder« sehen: es kotzte ihn einfach an. Man konnte auch nach Madrid fahren, in den Prado. Aber was werden die Bilder von Goya schon sein? Farbe auf Leinwand werden sie sein. Ein Dreck werden sie sein. Es gibt nichts in seinem Früher, an das er anknüpfen könnte. Was wird er, wenn er herauskommt? In der Luft schweben wird er. Das ist auch eins von den schönen Worten, die sie jetzt aufgebracht haben. Er stellt sich deutlich vor, wie er in der Luft schwebt: er lacht.
Da ist dieser Kaspar Pröckl. Der redet sehr überzeugt. Vielleicht sogar hat er recht. Aber was geht ihn das an? Er schwebt in der Luft. Da ist dann ein Mädchen, heißt Johanna Krain. Sehr füllig, viel zuviel Fleisch. Ein breites Gesicht, große Füße, große Poren an den Händen. Auch sie redet so entschieden daher. Aber sie ist damit nicht weitergekommen; er hockt noch immer hier, trotz ihres entschiedenen Daherredens. Er hätte sich nicht soviel von ihr einreden lassen sollen. Er hätte nicht soviel Zeit mit ihr vertun sollen. Wenn er denkt, wieviel Weiber er ausgelassen hat für diese Johanna Krain. Ein Idiot war er. Was war schon an ihr?
Es ist die Hitze, daß er sein Herz spürt und daß sein Atem ausläßt. Er müht sich krampfig, an tausend
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