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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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spekulierte sie für ihn; ihre heisere, aufgeregte Stimme war gefürchtet am Schalter der kleinen Bankstelle, wo sie ihre Aufträge tätigte.
    Dabei durfte der schwierige Dr. Geyer keinen Augenblick außer acht gelassen werden. Wer, während sie auf Einkaufsgängen war, auf der Bank, auf der Jagd nach Eßbarem, besorgte das Telefon, die Flurglocke, die kleinen Erfordernisse des Tags?
    Der Anwalt indes spann sich ein in seine Arbeit. Er hatte Freude an der Sauberkeit logischer Entwicklung, an dem reinen Bau von Gedankenreihen. Glaubte an jenen Denker, der Ethik auf geometrische Art demonstrierte. Niemals in seinem Leben hatte er sich so glücklich gefühlt wie jetzt, getragen von seiner Kunst, einen Fall, zehn Fälle, tausend Fälle so darzulegen, daß das System auch dem Stumpfäugigen sichtbar wurde, dieses verhaßte, verlogene System, Gewalt, Willkür,Vorteil, Politik umzufälschen in Ethik, Gesinnung, Christentum, Recht, Gesetz.
    Er schrieb. Lächelte. Strich einen überflüssigen Satz heraus. Wurde die Linie reiner? Er überprüfte. Während er leise, ohne Ton, sich selber vorlas, läutete die Flurglocke. Er beachtete es nicht, stellte den alten Zusammenhang wieder her, um nachzuprüfen. Er reduzierte den alten Satz auf fünf Worte, prüfte von neuem. Die Flurglocke läutete anhaltend, dringlich. Natürlich, kein Mensch kümmerte sich um ihn. Die Agnes, die schlampige, pflichtvergessene Person, stören konnte sie ihn immerzu: wenn sie aber wirklich einmal nötig war, wo blieb sie dann? Ächzend, knurrig, schlürfte er auf den dunkeln Vorplatz. Öffnete.
    Prallte zurück. Vor ihm stand frech, windig, ein dünnes Lächeln auf den sehr roten Lippen, ein junger Mensch. Der Anwalt schluckte. Ihm war, als würde ihm plötzlich alles Blut in den Kopf hinaufgeschwemmt. Er schwankte, hielt den Mund auf, schnappte gierig nach Luft, während der Junge immer mit dem gleichen Lächeln in der offenen Tür stand. »Darf man herein?« sagte endlich Erich. Der Anwalt wich zurück von der Tür. Der Junge schloß sie behutsam, ohne Lärm, folgte dem Anwalt in das unordentliche Zimmer.
    Sah sich um. Sah die Bücher, die Unordnung, die Unbehaglichkeit, die dürftigen, lieblos zusammengestellten Möbel. Verbarg nicht seine Geringschätzung. Es war das erstemal, daß er hier war. Bis jetzt immer hatte der Anwalt ihn aufgesucht. Es war ein großes, ungeheures Ereignis für den Dr. Geyer, daß der Junge zu ihm kam. Wichtiger als die »Geschichte des Unrechts«, wichtiger als irgend etwas in der Welt. Und es war ein ungeheures Unglück, daß er jetzt so unvorbereitet dastand. Er hatte sich die Situation oft vorgestellt, sich oft ausgemalt, was alles er dem Jungen sagen wollte, Gutes und Böses. Aber jetzt war ihm alles entfallen. Verwahrlost, blöd, ratlos, unendlich armselig stand er vor seinem Jungen, nun dieser zum ersten Male zu ihm kam.
    »Wollen wir uns nicht setzen?« sagte endlich Erich. »Soweitdas hier möglich ist«, fügte er mit einem aufreizend abschätzigen Blick hinzu. »Ja«, sagte der Anwalt. »Es ist hier ein bißchen ungemütlich«, sagte er, geradezu entschuldigend, noch niemals hatte er zu einem Besucher derartiges gesagt. Der Junge saß da, mit gekreuzten Beinen, lebemännisch. Er hatte sogleich die Führung an sich gerissen. Er sprach flott, mit norddeutschem, großstädtischem Akzent, während der Anwalt demütig, verfallen, unbeholfen vor ihm auf der Kante des Stuhls hockte, wartend.
    »Du wirst dich wundern, daß ich dich aufsuche«, kam endlich Erich zur Sache. »Du kannst dir denken, daß ich nicht gerade gern mit dir zusammentreffe. Und hier schon gar nicht.« – »Ich weiß es«, sagte Dr. Geyer. »Aber das Geschäft, das ich machen kann«, fuhr der Junge fort, »ist zu erstklassig, als daß ich nicht trotz meiner berechtigten Antipathie zu dir kommen sollte, damit du mir das nötige Kleingeld vorstreckst.« Und er begann eine phantastische Geschichte zu erzählen von einer Katzenfarm, die er anlegen wollte, um dann mit den Katzenfellen ein fabelhaftes Geschäft zu machen. Man werde die Katzen mit Ratten füttern, vier Ratten genügten zur Sättigung einer Katze. Die Ratten wiederum werde man mit den Kadavern der enthäuteten Katzen füttern. Jede Katze werde im Jahr zwölf Junge werfen, die Ratten sich viermal so schnell vermehren. Der Betrieb ernähre sich also aus sich selber, automatisch. Die Katzen würden die Ratten fressen, und die Ratten würden die Katzen fressen, und die Unternehmer würden die

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