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Erich Kastner

Erich Kastner

Titel: Erich Kastner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der 35.Mai oder Konrad reitet in die Sudsee
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das kam. Konrad klopfte gegen das Haus, und das Summen wurde noch stärker. Er kratzte an der Wand und rief:
    »Was sagt ihr dazu? Die Wolkenkratzer sind aus
    Aluminium!«
»Kinder, ist das eine praktische Stadt!« meinte der Onkel. »Da sollten wir einmal unsern Bürgermeister studienhalber herschicken!«
    Am meisten imponierte ihnen aber folgendes: Ein Herr, der vor ihnen auf dem Trottoir langfuhr, trat plötzlich aufs Pflaster, zog einen Telefonhörer aus der Manteltasche, sprach eine Nummer hinein und rief: »Gertrud, hör mal, ich komme heute eine Stunde später zum Mittagessen. Ich will vorher noch ins Laboratorium. Wiedersehen, Schatz!« Dann steckte er sein Taschentelefon wieder weg, trat aufs laufende Band, las in einem Buch und fuhr seiner Wege.
    Konrad und dem Pferd standen die Haare zu Berge. Ein paar Leute, die in entgegengesetzter Richtung an ihnen vorbeifuhren, sagten: »Die mit dem Pferd, das sind bestimmt Provinzler.«
    Ringelhuth zuckte die Achseln und versuchte, möglichst einheimisch zu wirken. Dabei fiel er aber wieder um. Doch er sagte, als Konrad ihm hochhelfen wollte: »Laß gut sein, ich fahre im Sitzen weiter.«
    Sie rollten aus einer Straße in die andre. Und die Wolkenkratzer aus Aluminium begannen leise zu singen, weil ein Wind aufkam.
    Nach einer Viertelstunde war das laufende Band zu Ende. Auch Wolkenkratzer gab es keine mehr.
Sie mußten wieder zu Fuß gehen, marschierten fleißig und standen, wenig später, vor einer gewaltigen Fabrik. »Viehverwertungsstelle Elektropolis«, so hieß sie. Konrad rannte als erster durchs Tor.
Unabsehbare Viehherden warteten darauf, nutzbringend verarbeitet zu werden. Sie drängten sich, muhend und stampfend, vor einem ungeheuer großen Saugtrichter, der gut seine zwanzig Meter Durchmesser hatte. Sie drängten einander in den Trichter hinein.
Ochsen, Kühe, Kälber - alle verschwanden sie zu Hunderten, geheimnisvoll angezogen, in der metallisch glänzenden Öffnung.
»Wozu ermordet der Mensch die armen Tiere?« fragte das Pferd.
»Ja, es ist ein Jammer«, erwiderte der Onkel. »Aber wenn Sie mal ein Schnitzel gegessen hätten, wären Sie nachsichtiger!«
Konrad lief an der Längsseite der Maschinenhalle entlang. Man hörte das Geräusch von Motoren und Kolben. Ringelhuth und das Pferd hatten Mühe, dem Jungen zu folgen.
Nach einiger Zeit erreichten sie die Rückseite der Fabrikanlage.
Dort standen, in langer Reihe, elektrische Güterzüge. Und aus der Hinterfront des Gebäudes fielen die Fertigfabrikate der Viehverwertungsstelle in die Eisenbahnwaggons. Aus einer der Wandluken fielen Lederkoffer, aus einer anderen Fässer mit Butter, aus einer dritten

    purzelten Kalblederschuhe, aus einer vierten Büchsen mit Ochsenmaulsalat, aus einer fünften große Schweizer Käse, aus einer sechsten rollten Tonnen mit Gefrierfleisch; aus wieder anderen Luken fielen Hornkämme, Dauerwürste, gegerbte Häute, Kannen voll Milch, Violinsaiten, Kisten mit Schlagsahne und vieles noch.
Waren die Waggons gefüllt, so läutete eine Glocke. Dann rückten die Züge weiter vor, und leere Waggons fuhren unter die Luken, um beladen zu werden.
»Und nirgends eine Menschenseele! Nichts als Ochsen!« rief Onkel Ringelhuth. »Alles elektrisch! Alles automatisch!«
Aber gerade, als er das rief, kam ein Mann über den Fabrikhof geschlendert. Er grüßte und sagte: »Ich habe heute Dienst. Jeden Monat einmal. Zwölf Tage im Jahr. Ich beaufsichtige die Maschinerie.«
»Eine Frage, Herr Nachbar«, sagte das Pferd. »Was machen Sie eigentlich an den übrigen dreihundertdreiundfünfzig Tagen des Jahres?«
»Da seien Sie ganz ohne Sorge«, meinte der Mann vergnügt. »Ich habe einen Gemüsegarten. Außerdem spiele ich gerne Fußball. Und malen lerne ich auch. Und manchmal lese ich Geschichtsbücher. Ist ja hochinteressant, wie umständlich die Leute früher waren!«
»Zugegeben«, sagte der Onkel. »Aber woher kriegen Sie die Unmenge Elektrizität, die Sie in Ihrer Stadt verbrauchen?«
»Von den Niagarafällen«, erzählte der Mann. »Leider hat es dort seit Wochen so geregnet, daß wir sehr in Sorge sind. Die Spannung und die Stromstärke haben derartig zugenommen, daß wir fürchten, in der Zentrale könnten die Sicherungen durchbrennen. Ach, da erscheint gerade die 4-Uhr-Zeitung.«
»Wo denn, Herr Nachbar?« fragte Konrad.
Der Aufseher starrte zum Himmel empor. Die ändern folgten seinem Beispiel. Und tatsächlich, am Himmel erschienen, in weißer Schrift auf blauem Grunde,

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