Erich Kastner
zehn Pfund abgenommen. Und manchmal leg ich ihr, obwohl es verboten ist, ein belegtes Brot auf den Nachttisch.« Babette schluchzte auf und putzte sich die Nase.
»Heule nicht!« sagte Konrad. »Als du hungrig warst,
hat sie auch nicht geheult.«
Babette schneuzte sich laut. »Das ist schon richtig«,
meinte sie. »Aber sie tut mir trotzdem sehr leid. Hoffent
lich ist die Kur wenigstens nicht vergeblich.« Dann ver
suchte sie zu lächeln. »Im allgemeinen haben wir Erfolg
über Erfolg.«
»Das freut mich aufrichtig«, sagte das Pferd. »Nun
wollen wir aber endlich Onkel Ringelhuth aus eurer
Heilanstalt rausholen. Sonst wird er womöglich noch
netter, als er schon ist.«
»Das wäre gar nicht zum Aushalten«, meinte Konrad.
Dann liefen sie geschwind ins Zimmer 28. Dort ging es
reichlich seltsam zu. Auf den Schulbänken saßen lauter Erwachsene. Sie hatten Kinderkleider an, und manche Leute sahen direkt feuergefährlich aus, besonders die dicken. Vorne, hinter dem Katheder, saß ein ernster blasser Junge. Das war der Lehrer, und als Babette mit Konrad und dem Pferd ins Zimmer kam, rief er: »Aufstehen!«
Die Erwachsenen standen auf. Nur ein furchtbar dicker Mann blieb in der Bank stecken. Der Junge, welcher der Lehrer war, gab Babette und ihren Begleitern die Hand und sagte: »Guten Tag, Fräulein Ministerialrat.« »Tag, Jakob, ist vorhin ein Neuer gebracht worden?« »Ja«, sagte der Lehrer, »für böse halte ich ihn nicht, aber er scheint ein bißchen dämlich zu sein. Er lacht dauernd. Kommen Sie her, Ringelhuth!«
Da kam nun also der Onkel Ringelhuth aus der hintersten Bank spaziert. Und das Pferd brüllte vor Lachen, als es ihn erblickte. Denn er trug kurze Hosen und eine Matrosenjacke und Wadenstrümpfe. Und auf dem Kopf saß ihm eine Matrosenmütze mit langen Bändern. Und auf der Mütze stand:
» Torpedobootzerstörer Niederbayern.«
»Du gerechter Strohsack«, rief Konrad und hielt sich an Babette fest.
»Ich gefalle euch wohl nicht?« fragte der Onkel gekränkt.
Babette klärte den Lehrer über das Mißverständnis auf, und dann wurde ein Schüler, ein gewisser Justizrat Bollensänger, weggeschickt, um Ringelhuths Anzug und den Spazierstock im Büro zu holen. Inzwischen nahm der Unterricht seinen Fortgang. Babette, Konrad, der Onkel und das Pferd standen an der Tür und hörten zu.
»Fleischermeister Sauertopf!« rief Jakob. »Stehen Sie auf! Sie schlagen Ihre Kinder dauernd auf den Hinterkopf, stimmt das?«
»Jawohl«, sagte der Fleischermeister Sauertopf. »Das sind nämlich meine höchstpersönlichen Kinder, und es geht kein Aas was an, wohin und wieso ich sie dresche. Verstanden?«
»Der eine Junge ist krank geworden. Und unser Schularzt behauptet, Willi würde zeitlebens unter den Folgen der Prügel zu leiden haben, die er bekam, weil er einen Groschen verloren hatte.«
»Euer Arzt soll herkommen und sich bei mir ‘n paar Backpfeifen abholen!« brüllte der Fleischermeister. »Ich härte die Kinder ab!«
»Ja«, sagte Jakob, »da werden wir Sie leider auch abhärten müssen. Wir tun es nicht gern. Aber wir werden Ihnen die unmenschlichen Prügel so lange heimzahlen, bis Sie merken, was Sie angerichtet haben.« Er drückte auf eine Klingel. Da kamen vier große starke Burschen ins Klassenzimmer, packten den Fleischer und schleppten ihn zur Tür. »Auf den Hinterkopf!« erklärte Jakob, und die vier nickten im Chor.
»Davon wird er doch nicht vernünftig«, meinte der Onkel.
»Leider nur davon«, sagte Babette. »Ich kenne diese Kerle. Glücklicherweise sind sie nicht allzu zahlreich.«
Der Fleischermeister Sauertopf wurde abgeführt. Er wirkte in seinem Konfirmandenanzug, der ihm zu knapp war, recht kläglich und schien sich zu wundern.
»Frau Ottilie Überbein!« rief Jakob.
Und es erhob sich eine dünne Dame. Sie trug ein kurzes Hängerkleidchen und fingerte dauernd an ihrer Frisur herum.
Jakob sagte: »Sie zwingen Ihre Tochter Paula zum Lügen. Das Kind muß auf Ihren Befehl den Vater und die Großeltern beschwindeln, weil niemand wissen darf, was Sie mit dem Wirtschaftsgeld machen und daß Sie gar nicht mit Paula Spazierengehen, sondern das Kind stundenlang allein in der Konditorei Ritter sitzen lassen und im Bridge-Klub Geld verspielen.«
»Das geht euch doch gar nichts an! Ich kann doch tun, was ich will«, behauptete Frau Überbein schnippisch.
»Daß Sie selber lügen, ist Ihre Sache«, sagte Jakob. »Daß Sie aber die kleine Paula zum Lügen anhalten, geht uns sogar sehr viel an. Wir
Weitere Kostenlose Bücher