Erich Kastner
Sie häkelte an einem Filetdeckchen und fragte freundlich: »Sie sind wohl von auswärts?«
»Es reicht«, erwiderte der Onkel. »Können Sie uns erklären, wieso hier die Autos von selber fahren?«
Die alte Dame lächelte.
»Unsere Wagen werden ferngelenkt«, erzählte sie.
»Das Lenkverfahren beruht auf der sinnreichen Koppelung eines elektromagnetischen Feldes mit einer Radiozentrale. Ganz einfach, was?«
»Blödsinnig einfach«, meinte der Onkel.
»Einfach blödsinnig«, knurrte das Pferd.
Und Konrad rief ärgerlich: »Wo ich doch Schofför werden wollte!«
Die alte Dame tat ihr Filetdeckchen beiseite und fragte: »Wozu willst du denn Schofför werden?«
»Na, um Geld zu verdienen«, antwortete der Junge.
»Wozu willst du denn Geld verdienen?« fragte die alte Dame.
»Sie sind aber komisch«, rief Konrad. »Wer nicht arbeitet, verdient kein Geld. Und wer kein Geld verdient, muß verhungern.«
»Das sind ja reichlich verwitterte Anschauungen«, äußerte die alte Dame. »Mein liebes Kind, hier in Elektropolis arbeitet man nur zu seinem Vergnügen, oder um schlank zu bleiben, oder um wem ein Geschenk zu machen, oder um was zu lernen. Denn das, war wir zum Leben brauchen, wird samt und sonders maschinell hergestellt, und die Bewohner kriegen es gratis.«
Onkel Ringelhuth dachte nach und sagte dann: »Aber die Lebensmittel muß man doch, ehe sie in Fabriken verarbeitet werden, erst mal pflanzen? Und das Vieh wächst doch auch nicht wie Unkraut in der Gegend!«
»Das erledigen unsre Bauern vor der Stadt«, entgegnete die alte Dame. »Aber auch die haben wenig Pflichtarbeit. Denn auch die Landwirtschaft ist restlos durchmechanisiert; das meiste besorgen die Maschinen.«
»Und die Bauern schenken Ihnen ihr Vieh und ihr Getreide?« fragte das Pferd.
»Die Bauern kriegen für ihre Erzeugnisse alles andre, was sie zum Leben brauchen«, erzählte die alte Dame. »Alle Menschen können alles kriegen. Denn der Boden und die Maschinen produzieren bekanntlich mehr, als wir benötigen. Wußten Sie das noch nicht?«
Onkel Ringelhuth schämte sich ein bißchen. »Natürlich wissen wir das«, meinte er. »Aber bei uns leiden trotzdem die meisten Menschen Not.«
»Das ist doch der Gipfel!« rief die alte Dame streng.
Dann lächelte sie aber wieder und sagte:
»So, jetzt fahr ich in unsre künstlichen Gärten. Dort duften die Bäume und Blumen nach Ozon. Das ist sehr gesund. Wiederschaun.«
Sie drückte auf einen Knopf, beugte sich über ein Sprachrohr und rief hinein: »In den künstlichen Park! Ich will in der Gastwirtschaft am Kohlensäurebassin Kaffee trinken!«
Da setzte sich das geheimnisvolle Auto gehorsam in Be
wegung und fuhr davon. Die alte Dame lehnte sich
bequem zurück und häkelte weiter.
Die drei gafften wie die Ölgötzen hinterher. Und der
Onkel sagte: »Das ist ja allerhand. Und so schön wird’s
später auf der ganzen Welt sein! Hoffentlich erlebst du’s
noch, mein Junge.«
»Wie im Schlaraffenland«, meinte das Pferd.
»Mit einem Unterschied«, warf Ringelhuth ein.
»Der wäre?« fragte das Pferd.
»Hier arbeiten die Menschen. Hier sind sie nicht faul. Sie arbeiten allerdings nur zu ihrem Vergnügen. Doch das wollen wir ihnen nicht nachtragen. Na, gehn wir weiter!«
Sie bogen in eine belebte Straße ein, um sich die Schaufenster von Elektropolis zu betrachten. Aber kaum hatten sie den Bürgersteig betreten, so fielen sie alle drei
der Länge lang um und rutschten, obwohl sie das gar nicht vorhatten, auf dem Trottoir hin.
»Hilfe!« schrie Konrad. »Der Fußsteig ist lebendig!« Der Fußsteig war nämlich, damit man nicht zu gehen brauchte, mit einem laufenden Band versehen. Darauf stellte man sich und fuhr, ohne eine Zehe krummzumachen, durch die Straßen. Wenn man in ein Geschäft wollte, trat man von dem laufenden Band herunter und hatte nun Pflaster unter den Schuhen.
»Das hätte uns das häkelnde Großmütterchen ruhig sa
gen können«, knirschte das Pferd. Es fuhr auf seinem Al
lerwertesten die Hauptstraße von Elektropolis lang und
konnte, wegen der Rollschuhe, nicht aufstehen. Erst als
Ringelhuth und Konrad nachhalfen, kam es auf die Beine.
Und nun machte ihnen der lebendige Bürgersteig
geradezu Spaß.
Dann wollte der Onkel in das Schaufenster einer Kon
ditorei gucken und trat von dem laufenden Band herunter.
Er hatte aber noch keine Übung und stieß mit dem Schädel gegen eine Hauswand. Daraufhin hörten sie ein merkwürdiges Singen und Klingen, und sie wußten zunächst nicht, woher
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