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Erich Kastner

Erich Kastner

Titel: Erich Kastner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der 35.Mai oder Konrad reitet in die Sudsee
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dulden das nicht länger. Paula schläft keine Nacht mehr, macht sich Gewissensbisse und kriegt Weinkrämpfe, wenn sie den Vater wieder hat anlügen müssen.«
»Du übertreibst, mein Kleiner«, sagte Frau Ottilie Überbein.
»Ich übertreibe ganz und gar nicht«, rief Jakob aufgebracht. »Das Kind weiß nicht mehr aus und ein. Wer weiß, was da noch passieren kann! Lassen Sie gefälligst Ihre blöde Frisur in Ruhe, wenn ich mit Ihnen rede! Sie bleiben noch eine Woche hier. Sollten Sie bis dahin noch immer nicht wissen, wie Sie sich Ihrer Tochter gegenüber zu benehmen haben, werden wir Gegenmaßnahmen ergreifen!«
»Da bin ich aber äußerst gespannt«, sagte Frau Überbein spitz.
»Wenn Sie künftig Paula zu einer Lüge zwingen, wird Ihr Mann durch uns die Wahrheit erfahren!« rief Jakob.
»Bloß nicht«, sagte die Überbein und sank vor Schreck auf ihren Sitz.
»Morgen mehr davon«, meinte Jakob. »Und jetzt Herr Direktor Hobohm!«
Aber da kam Justizrat Bollensänger zurück und brachte Onkel Ringelhuths Anzug. Und auch den Spazierstock. Der Onkel kleidete sich rasch um, wirbelte den Stock unternehmungslustig durch die Luft und rief: »Auf nach der Südsee!«
»Das hätte ich ja beinahe vergessen«, erklärte Konrad erschrocken und gab Babette die Hand. »Es war außerordentlich lehrreich«, sagte er. »Ich wünsche dir alles Gute. Ich meine, wegen deiner Mutter.«
»Auf Wiedersehen, Fräulein Ministerialrat«, sagte das Pferd.
Der Onkel war schon auf dem Korridor.
»Immer geradeaus!« rief Babette.
»Gleichfalls!« meinte Konrad zerstreut. Und dann rannte er hinter den ändern her.
    VORSICHT, HOCHSPANNUNG!
    Am Ausgang der Verkehrten Welt trafen sie auf eine Untergrundbahnstation. Sie stiegen treppab, sahen einen Zug stehn und setzten sich hinein.
    »Eine komische Untergrundbahn«, sagte Konrad. »Hier gibt’s keine Schaffner, hier gibt’s keinen Zugführer. Ich bin neugierig, wo die Fuhre hingeht.«
    »Wir werden’s ja erleben«, entgegnete der Onkel. Da aber ruckte der Zug an, setzte sich in Bewegung und sauste, eine Sekunde später, wie ein geölter Blitz in einen betonierten Stollen hinein. Ringelhuth fiel von der Bank und sagte: »Vielleicht werden wir’s auch nicht erleben. Lieber Neffe, falls mir etwas Menschliches zustößt, vergiß über dem Schmerz um mich nicht, daß du meine Apotheke erbst.«
    »Und falls du mich überlebst, lieber Onkel«, sagte der Junge, »so gehören dir meine Schulbücher und der Zirkelkasten.«
    »Heißen Dank«, erwiderte der Onkel. Und dann schüttelten sich die beiden ergriffen die Hände.
»Wir wollen nicht weich werden«, meinte das Pferd und blickte aus dem Fenster.
Die Untergrundbahn schoß wie eine Rakete durch den Tunnel. Die Schienen jammerten. Und der Zug zitterte, als hätte er vor sich selber Angst.
Onkel Ringelhuth setzte sich wieder auf die Bank und sagte verzweifelt:
»Wenn mir jetzt was passiert, ist’s mit dem Nachtdienst in der Apotheke Essig.« Doch da fiel er schon wieder von der Bank. Denn die Bahn hielt, als hätte man einen Eisberg gerammt.
»Nun aber raus!« schrie der Onkel, krabbelte hoch, riß die Tür auf und stolperte auf den Bahnsteig.
Das Pferd und Konrad stürzten hinter Ringelhuth her.
Als sie die Treppe hinaufgeklettert waren und sehen konnten, wo sie sich befanden, waren sie zunächst einmal starr. Sie standen zwischen lauter Wolkenkratzern!
»Meine Fresse«, sagte schließlich das Pferd.
Und Konrad begann, die Stockwerke des nächstliegenden Gebäudes zu zählen. Er brachte es auf sechsundvierzig. Dann mußte er aufhören, weil der Rest des Hauses von Wolken umschwebt war. Auf einer dieser Wolken stand in Projektionsschrift:
    Elektropolis die automatische Stadt! Vorsicht, Hochspannung!
    Das Pferd wollte auf der Stelle umkehren und meinte, man solle doch die verflixte Südsee schwimmen lassen. Aber Onkel und Neffe dachten nicht im Traum dran, sondern überquerten den großen Platz, der vor ihnen lag und von Hunderten von Autos befahren war. Und da mußte Negro Kaballo wohl oder übel hinterhertrotteln.
    »Zu arbeiten scheint hier überhaupt niemand«, meinte Ringelhuth. »Alles fährt im Auto spazieren. Versteht ihr das?«
Konrad, der neugierig neben einem der Wagen hergerannt war, kam zurück und schüttelte den Kopf. »Denkt euch bloß«, sagte er, »die Autos fahren von ganz allein, ohne Schofför und ohne Steuerung. Mir ist das völlig schleierhaft.« Da bremste ein Wagen und hielt neben ihnen. Eine nette alte Dame saß hinten drin.

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