Erinnert
Kontur seiner Lippen mit meinem Finger nachfahre. Seine einzigartigen Augen, so dunkel als, als schaue man in die bodenlose Schwärze, funkeln mich schelmisch an. Er hat keine Angst. Sollte er aber haben.
Ich fürchte mich.
Vor mir.
Weil ich nicht weiß, was als nächstes passiert. Weil ich nicht weiß, wer meine Finger, meine Handlungen gerade steuert. Wer mich kontrolliert. Mein Verstand kann es nicht sein, denn alle Vernunft in mir schreit: Tu das nicht!
„Freija ich...“
„Schscht“, hauche ich und dann streichen meine Fingernägel über sein Kinn und weiter hinunter über seinen Hals, über die Stelle, wo sich die Narbe befindet, die fast nicht mehr zu erkennen ist.
Plötzlich ändert sich Adams Ausdruck. Er schaut skeptisch, misstraut, greift nach meiner Hand.
„Wirst du jetzt gleich deine Zähne in meinen Hals schlagen?“, fragt er mich. Höre ich Nervosität in seiner Stimme?
„Es fällt mir schwer zu widerstehen“, gebe ich zu. „Aber woher weißt du, nach was ich, nach was sie verlangen?“
„Ich weiß es nicht und es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich es bin, der die Veränderung bei dir bemerkt hätte.“
„Hope? Hope hat es bemerkt, weiß es und hat dich vor mir gewarnt?“
„Ja hat sie. Sie meint, du hast deinen Durst noch nicht wirklich gestillt.“
„Und trotzdem lässt sie mich mit dir allein?“
„Ja, weil sie davon überzeugt ist, dass deine Bestien dir gehorchen.“
„Dann ist sie von etwas überzeugt, an das ich selbst noch nicht glaube.“
Adam sieht mich an und ich spüre, wie sich bei seinem Blick mein Magen zusammenkrampft, meine Knie wieder zu zittern beginnen. Es ist die Schwäche die zurückkommt, die mich erschüttert, die mich zu ihm hinzieht, wenn ich mich in seiner Nähe befinde. Die Schwäche, die ich schon damals im Skygate fühlen konnte, als er mich in den Gängen aufgespürt hatte. Das ist nicht das Verlangen nach Blut, das ist das Verlangen nach ihm. Seinen Berührungen. Seiner Zuneigung.
„Wenn du Blut brauchst, dann nimm es dir. Aber töte mich nicht.“ Was sagt er da? Ist er übergeschnappt. Er bietet mir Blut an. Sein Blut. Ich soll aus ihm trinken? Niemals!
Ich bin nicht primitiv.
ICH BRAUCHE BLUT!
Ich brauche Adam.
Ich trinke niemals Blut! Niemals. Niemals. Niemals.
Mir wird ein bisschen übel. Übel, weil ich mir schon dabei zusehe, wie ich an seiner Kehle hänge.
Adam schaut sorgenvoll. „Tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen sollen. Es ist nur... Du bedeutest mir...“
Ich will ihn nicht ausreden lassen.
SPRICH WEITER UND SAG MIR, DASS DU MICH WILLST!
Ich darf ihn nicht ausreden lassen.
Ich bin verflucht. Verrückt.
Verrückt nach ihm.
Ich muss weg hier. Jetzt! Ich richte mich auf, bevor das Unvermeidliche passiert.
Kapitel 9
„Ich sehe nach Hope. Ich muss mit ihr reden, bevor ich?“ Ich kann den Satz nicht beenden.
Ich lasse Adam und mein Tagebuch zurück.
Ich laufe den Weg zurück.
Renne ein Stück.
Sprinte.
Stehe.
Gehe wieder.
Sehe nicht wo ich hintrete, sehe nur Adams Gesicht vor meinem inneren Auge. Dann höre ich Geräusche, und werde neugierig. Ich sollte ein perfekter Jäger sein. Lautlos, schnell überirdisch stark. Aber ich trample, stolpere, bin etwas unbeholfen unterwegs. Ich habe es nicht auf Fleisch, auf Blut abgesehen, rede ich mir immer wieder ein. Ich nicht.
Die Laute, die Töne kommen näher. Es ist eine Melodie. Sie erinnert mich an etwas. An Gefühle, die ich am See vor Adams Haus gefühlt habe. Die ich vor ein paar Minuten gefühlt habe, als er noch neben mir war. Die ich auch jetzt fühle. Ich erinnere mich an Adam, den Duft seines Körpers. O Gott, ich werde überall von ihm verfolgt. Ich schüttle alles ab. Schon wieder. Verzweifelt.
Die Melodie führt mich, lockt mich weg von Adam. Führt mich an das begrünte Ufer des Sees, an dem wir vorbei gekommen sind, an dem wir uns gewaschen haben. Ich verlasse den Schutz, den Baldachin der Bäume, trete hinaus und sehe Hope. Höre sie.
Sie sitzt dort am Ufer und ist nicht allein. Bei ihr sind zwei Geschöpfe des Waldes. Rehe. Eine Mutter und ihr Kitz und Hope singt. Wenn Hope spricht, dann ist das wunderschön anzuhören. Aber das hier ist überirdisch schön. Der Klang ihrer Stimme berührt mich, meine Seele. Ich kriege eine Gänsehaut und bleibe wie angewurzelt stehen.
Die Rehe flüchten nicht. Hope darf ihnen ganz nahe kommen. Sie darf sie berühren und ich sehe die tiefe Verbundenheit, die zwischen ihnen und der
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