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Erinnerung an meine traurigen Huren

Erinnerung an meine traurigen Huren

Titel: Erinnerung an meine traurigen Huren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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ein, damit nicht auffiel, dass ich eine Spanne geschrumpft war.
    Ich habe den Ruf eines Geizkragens, weil sich niemand vorstellen kann, dass ich wirklich arm bin, da ich doch wohne, wie ich wohne, tatsächlich aber überstieg eine solche Nacht bei weitem meine Möglichkeiten. Der Schatulle mit meinen Ersparnissen, die ich unter dem Bett verborgen hatte, entnahm ich zwei Pesos für die Zimmermiete, vier für die Hausherrin, drei für die Kleine und fünf Pesos als Reserve für mein Abendessen und andere kleinere Ausgaben. Insgesamt also die vierzehn Pesos, die mir die Zeitung monatlich für meine Sonntagsglossen zahlte. Ich steckte das Geld in eine Geheimtasche im Hosenbund und parfümierte mich mit dem Zerstäuber des Agua de Florida von Lanman &  Kemp-Barclay & Co. Dann spürte ich die Pranke der Panik, und beim ersten Glockenschlag der achten Stunde tastete ich mich, vor Angst schwitzend, die finstere Treppe hinab und ging hinaus in die strahlende Nacht meines Vorabends.
    Es hatte abgekühlt. Einsame Männer standen in Grüppchen auf dem Paseo Colon zwischen den in der Mitte der Fahrbahn aufgereihten Taxis und diskutierten lautstark über Fußball. Eine Blaskapelle spielte unter den blühenden Alleebäumen einen schleppenden Walzer. Eines der armen Hürchen, die in der Calle de los Notarios auf Kundenfang gehen, bat mich wie immer um eine Zigarette, und wie immer erwiderte ich: Ich habe vor jetzt dreiunddreißig Jahren, zwei Monaten und siebzehn Tagen zu rauchen aufgehört. Als ich am Alambre de Oro vorbeiging, betrachtete ich mich in dem erleuchteten Schaufenster und sah mich nicht so, wie ich mich fühlte, sondern älter und schlechter gekleidet.
    Kurz vor zehn stieg ich in ein Taxi und sagte dem Fahrer, er solle mich zum Allgemeinen Friedhof bringen, damit er nicht merkte, wohin ich eigentlich wollte. Er schaute mich amüsiert im Rückspiegel an und meinte: Jagen Sie mir keinen Schreck ein, mein gelehrter Herr, möge Gott mich so lebendig erhalten, wie Sie es sind. Wir stiegen beide vor dem Friedhof aus, weil er kein Kleingeld hatte, und wir mussten in La Tumba wechseln, einer ärmlichen Kneipe, wo übernächtigte Trunkenbolde ihre Toten beweinen. Als ich die Rechnung beglich, sagte mir der Fahrer sehr ernst: Passen Sie auf, Don, das Haus von Rosa Cabar-cas ist längst nicht mehr das, was es einmal war. Ich konnte mich nur bedanken, wie jedermann davon überzeugt, dass es für die Taxifahrer am Paseo Colón kein Geheimnis unter dem Himmel gibt.
    Ich betrat nun ein Armenviertel, das kaum noch an jenes erinnerte, in dem ich mich einst ausgekannt hatte. Da waren noch die breiten, heißen Sandstraßen, dieselben Häuser mit offen stehenden Türen, Wänden aus rohen Rrettern, Dächern aus Palmstroh und Schotter in den Patios. Aber den Menschen war die Ruhe abhanden gekommen. In den meisten Häusern wurde freitags gefeiert, und die Trommeln und Tschinellen bebten in den Ein-geweiden nach. Für fünfzig Centavos durfte jeder an dem Fest, das ihm am besten gefiel, teilnehmen, konnte aber auch gratis auf dem Ziegeltrottoir tanzen. Unruhig eilte ich weiter und wäre in meinem Stutzeraufzug am liebsten im Boden versunken, doch keiner achtete auf mich, außer einem hageren Mulatten, der schläfrig im Eingang eines Mietquartiers saß.
    »Viel Glück beim Vögeln, Doktor!«, rief er mir herzlich zu.
    Was blieb mir übrig, als ihm zu danken? Dreimal musste ich stehen bleiben, um wieder zu Atem zu kommen, bevor ich die letzte Steigung geschafft hatte. Von dort aus sah ich, wie ein riesiger Messingmond am Horizont aufstieg, und ein plötzlicher Drang im Gedärm ließ mich um mein weiteres Schicksal fürchten, doch es ging vorüber. Am Ende der Straße, wo das Viertel in einen Obsthain überging, betrat ich den Laden von Rosa Cabarcas.
    Sie schien nicht mehr dieselbe zu sein. Einst war sie die verschwiegenste und deshalb auch bekannteste Puffmutter gewesen. Eine Frau von großer Fülle, die wir zur Sergeantin der Feuerwehr küren wollten, sowohl wegen ihrer Korpulenz als auch wegen der Effizienz, mit der sie die Kerzen in der Gemeinde löschte. Doch die Einsamkeit hatte ihren Leib schrumpfen lassen, ihre Haut war runzlig und ihre Stimme dünn geworden, aber auf eine so listige Weise, dass sie wie ein altes kleines Mädchen wirkte. Von damals waren ihr nur die vollkommenen Zähne geblieben, und einen davon hatte sie sich kokett in Gold fassen lassen. Wegen des Todes ihres Mannes nach fünfzig Jahren gemeinsamen Lebens trug

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