Erinnerung an meine traurigen Huren
die darin bestand, die verstümmelten Nachrichten aus aller Welt, die wir über Kurzwelle oder Morsezeichen im Himmelsraum abfingen, zu rekonstruieren und in der Prosa der Eingeborenen auszuschmücken. Heute ernähre ich mich mehr schlecht als recht von der Pension, die mir von diesem ausgestorbenen Beruf geblieben ist; schlechter noch von der eines Latein- und Spanischlehrers, kaum von der Sonntagsglosse, die ich über ein halbes Jahrhundert lang unverdrossen geschrieben habe, und überhaupt nicht von meinen Musik- und Theaterbesprechungen, die man aus reiner Gefälligkeit abdruckt, wenn mal wieder ein bedeutender Interpret in der Stadt weilt. Ich habe nie etwas anderes getan als zu schreiben, fühle mich aber nicht zum Erzähler berufen, die Gesetze der Dramaturgie sind mir unbekannt, und ich wage mich auch nur an dieses Unterfangen, weil ich darauf vertraue, dass all das, was ich in meinem Leben gelesen habe, mich erleuchten möge. Kurz gesagt, ich bin der Letzte eines Geschlechts, bin glanzlos und ohne Verdienste und hätte den Nachlebenden nichts zu hinterlassen, wären da nicht die Ereignisse, die, so gut es geht, zu schildern ich mich anschicke, in diesem Bericht über meine große Liebe.
Am Vortag meines neunzigsten Geburtstags war ich wie immer um fünf Uhr morgens erwacht. Es war Freitag, und meine einzige Verpflichtung bestand darin, die namentlich gezeichnete Glosse zu schreiben, die sonntags im Diario de la Paz erscheint. Die Symptome bei Tagesanbruch waren wie geschaffen, um nicht glücklich zu sein: Ich war wie gerädert, die Knochen schmerzten seit Mitternacht, der Hintern brannte, und nach drei regenlosen Monaten donnerte es bedrohlich. Ich duschte, während der Kaffee kochte, trank eine große Tasse, mit Honig gesüßt, aß dazu zwei Maniokschnitten und zog dann meinen Hausanzug aus Drillich an.
Das Thema der Glosse sollte diesmal, ganz klar, mein neunzigster Geburtstag sein. Ich habe mir das Alter nie als undichte Stelle im Dach vorgestellt, die tropfend anzeigt, wie viel Leben einem noch bleibt. Als kleiner Junge hörte ich, dass, wenn ein Mensch stirbt, sich zur Schande der Familie die Läuse, die in seinem Haar nisten, in Panik über das Kopfkissen davonmachen. Das schreckte mich derart ab, dass ich mir für die Schule den Schädel kahl scheren ließ und noch heute die paar verbliebenen Strähnen mit einer Seife für den dankbaren Hund wasche. das heißt, sage ich mir jetzt, dass in der Kindheit mein Sinn für Peinlichkeit stärker entwickelt war als der für den Tod.
Seit Monaten stand für mich fest, dass meine Geburtstagsglosse nicht die übliche Klage über die entschwundenen Jahre, sondern genau das Gegenteil sein sollte: eine Verherrlichung des Alters. Zunächst fragte ich mich, wann ich zum ersten Mal wahrgenommen hatte, dass ich alt war, und das lag, so glaubte ich, noch gar nicht lange zurück. Mit zweiundvierzig war ich wegen Rückenschmerzen, die mich beim Atmen behinderten, zum Arzt gegangen. Er hielt es für harmlos: Die Schmerzen sind ganz natürlich in Ihrem Alter.
»In diesem Fall«, sagte ich, »ist mein Alter nicht natürlich.«
Der Arzt schenkte mir ein mitleidiges Lächeln. Ich sehe, Sie sind ein Philosoph, sagte er zu mir. Das war das erste Mal, dass ich den Begriff Alter mit mir verband, aber ich vergaß es bald. Ich gewöhnte mich daran, jeden Tag mit einem anderen Schmerz aufzuwachen, der, indes die Jahre vergingen, sich an immer neuen Stellen auf unterschiedliche Weise bemerkbar machte. Manchmal hielt ich ihn für einen Prankenschlag des Todes, am nächsten Tag verflüchtigte er sich jedoch. Zu jener Zeit hörte ich, das erste Symptom des Alters sei, dass man seinem Vater zu ähneln beginne. Ich muss zu ewiger Jugend verdammt sein, dachte ich damals, da mein Pferdeprofil niemals dem derb karibischen meines Vaters oder dem römisch imperialen meiner Mutter ähneln wird. In Wahrheit kommen die ersten Veränderungen langsam und fast unmerklich, man sieht sich von innen immer noch so wie früher, die anderen aber nehmen von außen den Verfall wahr.
Im fünften Jahrzehnt begann ich eine Vorstellung vom Alter zu bekommen, als ich die ersten Gedächtnislücken bemerkte. Auf der Suche nach der Brille schnürte ich durchs Haus, bis ich entdeckte, dass ich sie auf der Nase hatte, oder ich ging mit Brille unter die Brause oder setzte mir die Lesebrille auf, ohne die Fernbrille abzusetzen. Eines Tages frühstückte ich zweimal, weil ich das erste Mal vergessen hatte, und ich
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