Erinnerung Des Herzens
Damals war sie Mitte Zwanzig gewesen.
Obwohl sie nie ein Geheimnis daraus gemacht hatte, war es kaum bekannt, dass sie im Alter von sechs Wochen adoptiert worden war und fast genau achtzehn Jahre später ein Kind zur Welt gebracht hatte, auf dessen Geburtsurkunde vermerkt war: Vater unbekannt. Selbstverständlich kannte sie den Namen von Brandons Vater, aber sie hatte es schon immer verstanden, ihre Geheimnisse und ihre Zunge zu hüten.
Sie genoß es, dass es ihr oft gelang, die sorgfältig errichteten Fassaden anderer Leute einzureißen und in der Öffentlichkeit die Rolle der erfolgreichen Ms. Summers zu spielen, die ihr seidiges dunkelblondes Haar in einem französischen Knoten trug, elegante Kleider in leuchtenden Farben bevorzugte und anscheinend keine Nerven hatte.
Wenn sie nach Hause kam, wollte sie nur noch Julia sein, Brandons Mutter. Eine Frau, der es Spaß machte, das Abendessen für ihren Sohn zu kochen, die Möbel abzustauben, Pläne für einen Garten zu schmieden. Ein behagliches Heim zu schaffen, sah sie als ihre wichtigste Aufgabe an, das Schreiben brachte die dafür notwendigen Mittel ein.
Jetzt, während sie darauf wartete, dass ihr Sohn zur Tür hereingestürmt käme, um ihr von seinen Schlittenfahrten mit den Nachbarskindern zu erzählen, dachte sie über das Angebot nach, das sie gerade telefonisch erhalten hatte.
Eve Benedict.
Ruhelos ging sie hin und her, hob Sachen auf und legte sie an ihren Platz zurück, schob Kissen auf dem Sofa zurecht und ordnete Illustrierte. Die Unordnung im Wohnzimmer war mehr von ihr verursacht worden als von Brandon. Sie stolperte über weggeschleuderte Schuhe und ignorierte einen Korb voller Wäsche, die zusammengelegt werden musste. Sie überlegte.
Eve Benedict. Schon der Name übte einen unwiderstehlichen Zauber aus. Sie war nicht einfach nur berühmt, nein, diese Frau hatte wirklich das Recht, ein Star genannt zu werden. Ihr Talent und ihr Temperament hatten ebenso dazu beigetragen wie ihr Gesicht. Ein Gesicht, das man seit fast fünfzig Jahren aus dem Fernsehen kannte, das in etwa hundert Filmen zu sehen war. Zwei Oscars, ein Tony, vier Ehemänner - um nur einen Bruchteil ihrer Trophäen zu nennen. Sie hatte noch das Hollywood von Bogart und Gable gekannt, und sie hatte überlebt, ja, triumphiert, als die Studios in die Hände von Buchhaltern geraten waren.
Nach fast fünfzig Jahren im Scheinwerferlicht würde dies die erste autorisierte Biographie der Benedict werden. Wahrscheinlich war es auch das erste Mal, dass der Star Kontakt zu einem Autor aufgenommen und dieses Angebot gemacht hatte. Aber es war mit gewissen Bedingungen verknüpft, dachte Julia, und ließ sich auf die Couch sinken. Wegen dieser Bedingungen hatte sie ihre Agentin bitten müssen, ihr eine Bedenkzeit einzuräumen.
Sie hörte, wie die Küchentür knallte, und lächelte. Es gab nur einen einzigen Grund für sie, den goldenen Ring nicht sofort zu ergreifen. Und der kam gerade nach Hause.
»Mama!«
»Ich komme.« Sie ging in die Halle hinunter und fragte sich, ob sie das Angebot sofort erwähnen sollte oder erst nach den Feiertagen. Sie kam gar nicht auf den Gedanken, selbst die Entscheidung zu treffen und Brandon dann darüber zu informieren. Sie ging in die Küche und blieb grinsend stehen.
Vor ihr stand ein Schneehügel mit dunklen, blitzenden Augen darin. »Bist du nach Hause gelaufen oder gerollt?«
»Es war super.« Brandon kämpfte mannhaft mit seinem nassen, um den Hals geknoteten Schal. »Wir saßen auf dem Schlitten, und Wills großer Bruder hat ihm einen mächtigen Stoß gegeben. Lisa Cohen schrie und schrie die ganze Zeit. Als sie herunterfiel, weinte sie. Und ihr Rotz ist in der Kälte zu Eis gefroren.«
»Klingt hübsch.« Julia kauerte sich hin, um den völlig verwickelten Knoten aufzulösen.
»Ich knallte direkt in eine Schneebank.« Gefrorener Schnee flog durch die Gegend, als er seine Hände, die noch in den dicken Handschuhen steckten, zusammenschlug. »Es war super.«
Er wäre beleidigt gewesen, wenn sie ihn gefragt hätte, ob er sich verletzt hätte, offensichtlich war er nur ein bisschen überdreht. Aber die Vorstellung, wie er mit dem Schlitten in eine Schneebank gerast war, gefiel ihr nicht besonders. Trotzdem gab sie sich Mühe, nicht die besorgte Mutter zu spielen, denn sie wusste, ihr hätte es auch Spaß gemacht. Julia brachte es endlich fertig, den Knoten zu lösen. Sie setzte einen Kessel Wasser auf, um eine heiße Schokolade zu kochen, und Brandon
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