Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
Brockdorf mit seinen Intrigen beim Großfürsten großen Erfolg hatte. Er genoß dabei die Unterstützung einer ziemlich großen Anzahl holsteinscher Offiziere, die der Großfürst auf sein Zureden den ganzen Winter über in Petersburg bei sich behielt. Ihre Zahl belief sich mindestens auf zwanzig,und sie befanden sich fortwährend in der Umgebung des Großfürsten. Dazu kamen noch ein paar holsteinsche Soldaten, die als Laufburschen und Kammerdiener bei ihm angestellt waren und zu allen möglichen Geschäften benutzt wurden. Im Grunde aber waren alle diese Menschen nichts als Spione Brockdorfs und Genossen. Ich wartete in diesem Winter nur auf einen günstigen Augenblick, um ernsthaft mit dem Großfürsten zu reden und ihm aufrichtig zu sagen, was ich von seiner Umgebung und deren Intrigen dächte. Es fand sich auch bald ein solcher, und ich ließ ihn nicht unbenutzt vorübergehen. Der Großfürst selbst kam eines Tages in mein Boudoir und sagte mir, daß man es ihm als unumgänglich notwendig darstelle, einen geheimen Befehl nach Holstein zu schicken, die Verhaftung einer der durch Stellung und Ansehen hervorragendsten Persönlichkeiten des Landes betreffend. Diese Persönlichkeit war ein gewisser Elendsheim, ein Mann von bürgerlicher Abkunft, der indes durch seinen Fleiß und seine Fähigkeiten sich zu jener Stellung emporgehoben hatte. Als ich den Großfürsten fragte, welche Beschwerden man gegen diesen Mann habe und was er verbrochen, daß man daran denke, ihn gefangen zu nehmen, erwiderte er: »Nun, man sagt, er sei des Unterschleifs verdächtig.« – Wer seine Ankläger wären, fragte ich nun, worauf er sich sehr im Rechte glaubte, als er antwortete: »Ankläger? die gibt es nicht, denn das ganze Land fürchtet und achtet ihn; aber gerade deshalb muß ich ihn verhaften lassen. Ist dies erst geschehen, so werden sich, wie man mir versichert, genügend Ankläger finden.« – Ich zitterte vor Aerger, als er mir das sagte, und erwiderte: »Auf diese Weise betrachtet, gibt es keinen Unschuldigen mehr auf der Welt. Es braucht nur ein Neidischer da zu sein, der im Publikum irgend ein vages Gerücht aussprengt, wie es ihm gerade gefällt, worauf man jeden Beliebigenarretiert; die Anschuldigungen und Verbrechen werden sich dann schon finden. Das ist à la façon de Barbarie mon ami , wie es im Liede heißt, daß man Ihnen rät, zu handeln, ohne auf Ihr Ansehen oder Ihre Gerechtigkeit Rücksicht zu nehmen. Wer gibt Ihnen so schlechte Ratschläge? Erlauben Sie mir diese Frage.« – Dies schien meinem Großfürsten doch ein wenig peinlich zu sein, und er entgegnete: »Sie wollen immer mehr wissen als die anderen.« – Da antwortete ich ihm, ich spräche nicht, um die Kluge zu spielen, sondern weil ich alle Ungerechtigkeit haßte und nicht glaubte, daß er so eine Willkürlichkeit begehen wolle. – Darauf schickte er sich an, mit großen Schritten im Zimmer auf und ab zu gehen, und entfernte sich dann mehr aufgeregt als ärgerlich. Kurze Zeit nachher aber kam er wieder und sagte mir: »Kommen Sie, Brockdorf wird mit Ihnen selbst über die Elendsheimsche Geschichte sprechen, und Sie werden sehen und überzeugt sein, daß ich ihn verhaften lassen muß.« Ich erwiderte: »Gut, ich werde Ihnen folgen und hören, was er sagen wird, da Sie es wünschen.« – In der Tat fand ich Brockdorf im Zimmer des Großfürsten, der zu ihm sagte: »Sprechen Sie mit der Großfürstin.« Brockdorf, etwas bestürzt, verneigte sich vor dem Großfürsten und sagte: »Da Eure Hoheit es mir befehlen, werde ich mit der Frau Großfürstin sprechen.« – Hier machte er eine Pause und fuhr dann fort: »Es ist eine Angelegenheit, die mit viel Heimlichkeit und Klugheit behandelt sein will.« – Ich hörte aufmerksam zu. – »Ganz Holstein ist erfüllt von dem Lärm der Elendsheimschen Unterschleife und Erpressungen. Allerdings sind vorläufig keine Ankläger da, weil man ihn fürchtet, aber wenn er erst verhaftet ist, wird man so viele haben, als man nur will.« Als ich darauf von ihm Einzelheiten über die Unterschleife und Erpressungen verlangte, erfuhr ich, daß, was die Unterschleife der Taxen betraf, gar keine Schuldvorlag, da er überhaupt kein Geld vom Großfürsten in den Händen hatte. Da er aber an der Spitze der Justizverwaltung stand, sah man es als Unterschleif an, wenn sich bei jedem Prozeß immer eine oder die andere streitende Partie über Ungerechtigkeit beklagte und aussagte, daß die Gegenpartei nur durch Bestechung der
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