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Erlebnisse eines Erdenbummlers

Erlebnisse eines Erdenbummlers

Titel: Erlebnisse eines Erdenbummlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Karillon
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mein gutes Gedächtnis.
    Hatte ich einem Bänkelsänger nur zehn Minuten auf den Jahrmärkten zugehört, so waren seine Lieder in meinem Kopf und ich konnte sie dann gelegentlich mit all den schiefen Mäulern des Rhapsoden in den Spinnstuben zur Erheiterung des Publikums zum Vortrag bringen. Mit solchen Mätzchen hatte ich mir das Ansehen eines »gewürfelten Kopfes« ersungen und galt für vielversprechend. Als aber der Kaplan Werner den ernstlichen Versuch machte, mich in die Geheimnisse der lateinischen Deklinationen einzuführen, da versagte ich vollständig. Ich war zerstreut und es hingen meine Gedanken draußen im Walde, wo ich die Nester der Eichhörnchen besser kannte, als die kniffeligen Regeln, nach denen ein Akkusatikum infinitivo konstruiert sein wollte.So mußte ich denn eines Tages zu meiner großen Beschämung, in unserer Nebenstube versteckt, zuhören, wie der junge Priester mit dem feurigen Gesicht meinem Vater über meine angebliche Begabung reinen Wein einschenkte. Es ging gefährlich über mich her, und das Schlußergebnis der wohlwollenden Aussprache war, daß ich das Stundenlaufen ins Pfarrhaus einstellen durfte. Zum Lohn für mein gnädiges Herabsteigen aus höheren Regionen wurde ich von meinen Schulkameraden bei den Spielen um den Helyturm herum zum Räuberhauptmann befördert.
    In mir selber war zur damaligen Zeit der Glaube erwacht, daß ein tüchtiger Kerl auch ohne Gelehrsamkeit sich in der Welt eine Stellung erringen könne. Götz von Berlichingen gefiel mir und Hans Sachs. Überhaupt für die Drahtzieher von Profession hatte ich etwas übrig. In der Schusterstube des Nachbars Basel ging es immer fidel her. Die Gesellen saßen abends im Scheine der Glaskugel um die Werkbank herum und sangen beim Hämmern der Sohlen mit schallenden Stimmen in die Luft hinein:
    »Frau Meisterin lösch sie aus das Licht,
Wenn ich mein Schätzlein küß,
Das ist gewiß, dafür brauch ich's nicht«
    und so weiter, bis eine Magd zum Abendessen rief und der Spannriemen mit samt dem Schabeisen in die Ecke flog. Nach Feierabend ging es auf die Straße hinaus, wo der Schuhmacher mit dem Hutmacher und Schneider Händel suchte und immer Sieger blieb.
    An den Gedanken, das Meßgewand mit der blauen Pechschürze vertauschen zu wollen, hatte ich mich allmählich gewöhnt. Ja, ich hatte bereits mein Äußeres den Verhältnissen anzupassen gesucht und die bunte Mütze versteckt, die mir als dem künftigen Studenten das Stigma einer höheren Berufung aufzudrücken versuchte.
    Unter solchen Umständen war ich vierzehn Jahre alt geworden und der Augenblick der Schulentlassung rückte heran. Im Vaterhause arbeitete eine Hemdennäherin dem Kommuniontage entgegen. Ein Tuchrock aus dem Nachlaß meiner Mutter war schwarz gefärbt und zu Michelstadt »dekatiert« worden. Derart verjüngt hatte sich das Kleidungsstück unter der Hand des Schäferschneiders zu einem Konfirmandenanzug für mich umgestaltet. Im obersten Knopfloch des Kittels pflegte bei jedem der männlichen Konfirmanden ein Sträußchen von scheckigen Zeugblumen zu prangen, die oft älter waren als der Konfirmand, der sie trug, und von einem Haus zum andern im Dorfe herumgeliehen zu werden pflegten. Wehe dem, der sich herausnahm, vom alten Brauche um eine Haaresbreite abzuweichen. Zu meinem Unglück war nun die Aufkäuferin, die zweimal in der Woche den Weinheimer Markt besuchte, auf den verwegenen Gedanken gekommen, mir ein Sträußchen lebender Blumen mitzubringen.
    Meine Schwestern in ihrem Unverstand versteiften sich darauf, daß ich diese statt der Schirtingblumen an meinen Rock stecke. Ich fügte mich. Aber was geschah? Als die lange Schlange der Kommunikanten durch die Gasse der Neugierigen hindurch sich dem Kirchenportal zuwälzte, hörte ich, wie aus der Menge der Gaffer eine weibliche Stimme in die Andächtigen hineinrief: »Da guckt dem Schulmeister seinen! Der Aff muß natürlich was Extras haben. Hat er nit gar en lebendige Blumenstrauß vor sein Gänsebrüstel hingesteckt?«
    So, da hatt' ich's nun, das Urteil meiner Landsleute über mich. Ein Affe war ich, weil sich meine Angehörigen herausgenommen hatten, mich mit einer anderen Kreide zu zeichnen als die übrigen Hammel. Da ging ich als Gebrandmarkter in der langen Reihe und hätte ich es auch gewollt, es wäre mir unmöglich gewesen, aus der Kette herauszubrechen. Ich mußte die Blicke des Menschenspaliers aushalten, so sehr sie mir auch durch den Rock hindurch bis in die Seele brannten. Nein, wie

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