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Erlebnisse eines Erdenbummlers

Erlebnisse eines Erdenbummlers

Titel: Erlebnisse eines Erdenbummlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Karillon
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Tagen der Woche noch zur ganzen Nacht kam. Hundert Male bin ich von einem Arm auf den anderen gewandert und habe die Reise durch alle Höfe und Winkel des Dorfes gemacht, zwischen dem letzten Abendschein der Sonne und dem ersten Hahnenschrei. Wie gut erinnere ich mich des Umstandes, daß ich kalte Zehen bekam, weil mir die Füße unten aus der umgeschlagenen Pferdedecke herausguckten.«
    »So waren's etwa gar Ihre wißbegierigen Zehen, die das beobachteten, was Sie später zu Papier gebracht haben?«
    »Kann sein, Frau Kritzler. Kalte Füße veranlassen erst einen warmen Kopf, und den muß der Dichter haben, wenn er auf gescheite Einfälle kommen soll. Im übrigen danke ich nun für das Interesse, das Sie an meiner Person bekundet haben, Frau Kollega. Wenn's das Schicksal will, sehen wir uns noch einmal wieder im Leben, nur darf es sich nicht abermals vierzig Jahre Zeit gönnen wollen, bis es uns zusammenführt.«
    Wir verabschiedeten uns voneinander, um uns niemals wiederzusehen. Wie ich gehört habe, ist die Dame im Jahre 19 in Heidelberg gestorben.

Strenge Lehrjahre

    ie Gänseweide von Waldmichelbach und der Turm, in dem der Michel Hely hauste, das war seither meine Welt gewesen.
    In mein neuntes Lebensjahr fiel meine erste Wanderung über die Gemarkungsgrenze hinaus. Meine Mutter hatte in der Not ihrer vielen Krankheitsbeschwerden eine Wallfahrt zum Heiligen Blutsaltar zu Walldürn gelobt. Ich nehme an, daß dies im Winter des Jahres 1861-1862 der Fall war. Als aber die Zeit der Kornreife kam, wo die Bittprozessionen um Peter und Paul ihren Anfang nehmen, war sie kränker denn je. Nun tat sie, was zu allen Zeiten üblich war. Da sie nicht zahlen konnte, stellte sie dem Himmel in meiner Person einen Bürgen. Wer war glücklicher als ich über diese Stellvertretung? Sie gab meiner Persönlichkeit Bedeutung und führte mich den goldenen Wundern entgegen, die hinter dem schwarzen Kreise der Bergesgipfel lagen, die seither meinen Horizont eingeengt hatten. Voller Ungeduld horchte ich tagtäglich, hinter der Haustür marschbereit stehend, ob denn nicht endlich von der Kreidacher Höhe herunter das Lied der Waller ertönen wolle und ihr eintöniges Rosenkranzgebet.
    Ein paarmal schon hatte ich die Eier aufgegessen, die man mir als Wegzehr für den heiligen Gang abgesotten hatte, da kam sie doch endlich, die Prozession, mit ihren im Winde flatternden Fahnen, dem Großmaul ihres Vorsängers und mit einem Menschenhaufen hinter dem hölzernen Kreuzesbilde, der aussah, als ob er den Anfang einer neuen Völkerwanderung vorzustellen habe. Im Nu war ich mit meinem Bündel die Schultreppe hinabgestürmt und hatte mich, »Stolz in der Brust«, eingegliedert in die fromme Kette. »Leb' wohl nun, du altes Schulhaus,« so dachte ich mir. »Fünf Tage ist eine lange Zeit und hinter den Bergen liegt die allmächtige Welt. Würden und Ämter hat sie zu verteilen, und wer kann wissen, was aus mir geworden sein wird, wenn an einem schönen Tag ich wiederkomme?«
    Welch' ein Rausch des Glückes durchschauerte mich, als wir in der Herde durch die wogenden Kornfelder zogen, im Walde lagerten, uns um die rauschenden Dorfbrunnen stellten, um unseren Durst zu stillen. Anders gefärbte Vögel sangen neue Lieder von den Bäumen, und eine neue Weise klapperten die an den Bächen hin zerstreuten Mühlen. Bei Beerfelden sah ich zum ersten Male einen Galgen und hing an seinen sechs Ketten alle Menschen auf, die mir zuwider waren. Zunächst den Holzebein von Kocherbach, der bei Waterloo den Unterschenkel verloren. Er verletzte mein Schönheitsgefühl.
    Ein lebender Edelhirsch im Park zu Ernsttal kam mir vor wie ein Zeitgenosse des Noah und ein Pfau zu Hesselbach wie eine wandelnde Monstranz. Was ich sonst noch alles erlebt habe an Zeichen und Wundern, hatmich beinah völlig umgestaltet, so daß ich von dem Gnadenorte den Entschluß mit nach Hause brachte, ein Priester, womöglich gar ein Bischof zu werden. In der Stube des Michael Hely begann nun ein eifriges Leimen und Flicken, dem Rauchfässer aus Zuckerstricken und kostbare Meßgewänder aus Zeitungspapier ihr Dasein verdankten.
    So Vorzügliches ich auch auf dem alten Glockenturme schaffte, bei meinem Vater in der Schule leistete ich nicht viel. Zu meiner Faulheit drückte der gute Mann mehr als nur das eine Auge zu.
    Durch die Sorge um meine schwerkranke Mutter und durch deren im Frühjahr 1863 erfolgten Tod war seine Aufmerksamkeit von mir abgelenkt. Vielleicht auch blendete ich ihn durch

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