Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erlebnisse eines Erdenbummlers

Erlebnisse eines Erdenbummlers

Titel: Erlebnisse eines Erdenbummlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Karillon
Vom Netzwerk:
kleinen Blondkopf mit Süßholz fütterte, wenn er unruhig wurde. Ich habe späterhin einen Doktor Kritzler geheiratet, bin in die Nähe von Aschaffenburg gezogen und habe meinenSchützling von ehedem aus dem Auge verloren, zumal da ich gar bald für zwei Weißköpfe zu sorgen hatte, die nicht minder gefräßig waren, wie vordem der Lehrersbub. Nun, Gott sei Dank, wir hatten zu essen für die Söhne. Sie wurden groß und dienen heute als Offiziere dem Vaterlande. Der eine ist Hauptmann in Koblenz, der andere in Leipzig. Von letzterem komme ich soeben. Er hat eine Lungenentzündung überstanden und war schwerkrank.«
    »Und Sie haben ihn gepflegt?«
    »Ja und bin bei dem Geschäfte wieder auf Ihre Fährte gestoßen. Hören Sie nur! Als es meinem Jungen wieder besser ging, bat er eines Tages seinen Arzt um etwas Lektüre. Der vielbelesene Mann brachte seinem Patienten ein Buch mit, und denken Sie nur, was das war.«
    »Vermutlich keiner von den Kirchenvätern.«
    »Das nicht, obwohl der Inhalt des Buches sich um einen Mann drehte, der im Alten Testament schon eine Rolle spielte.«
    »Er wird doch nicht Michael Hely geheißen haben?« »Nicht anders, und das Buch war von einem Autor geschrieben, dessen Name nicht leicht mit einem andern verwechselt werden kann. Verstehen Sie jetzt, warum es mich in meinen alten Tagen hierher an die Bergstraße gezogen hat? Daß ich's nur offen sage: Ich bilde mir ein, daß ich ein Anrecht an den Früchten eines Baumes hätte, dessen Wurzeln ich vordem mit Himbeerwasser begossen habe.«
    An dieser Stelle suchte ich dem Gespräche eine andere Wendung zu geben, indem ich bemerkte: »Sie müssen doch meine Mutter gekannt haben, verehrte Frau Doktor, wollen Sie mir nicht einmal von ihr erzählen? Denken Sie nur, ich kann mir, so sehr ich auch mein Gehirn plagen mag, keine Vorstellung davon machen, wie sie ausgesehen haben kann, obwohl ich doch schon zehn Jahre alt war, als sie starb. Ein bleiches Gesicht, aus dem zwei hektische Rosen traurig herausleuchteten, ist alles, was mir als Erinnerung von ihr geblieben ist.«
    »Nur zu begreiflich,« sagte Frau Kritzler, »sie hat mehr als acht Jahre im Bette zugebracht. Aber ich kann Ihnen sagen: Sie war eine hehre Gestalt mit breiten Schultern und schwarzem Haar, das leicht gewellt über eine hohe Stirne niederfiel. Wenn sie erregt war, konnte sie sogar energisch, ja furchtbar erscheinen.«
    »Und eine solche Gestalt, von der ich aber nicht weiß, ob sie meine Mutter war oder nicht, schwebt meinem Geiste vor. Werden Sie mir verzeihen, wenn ich Ihnen erzähle, in welcher Situation?«
    »Reden Sie immerhin. Wir sind beide alt und dickhäutig genug geworden, so daß von innen heraus die Schamröte uns nicht mehr durchleuchten kann.«
    »Sei's drum gewagt! Eine ernste Frauengestalt schwebt mir vor. Sie hat sich über mich gebeugt, hebt mir mit der Linken das Hemd empor und bearbeitet mit der Rechten mein Hinterteil, wie mir's erscheinen will, nicht allzu zärtlich. Wissen Sie vielleicht, wer das war?«
    Frau Kritzler lachte laut auf, indem sie sagte: »Ihre Mutter war's, und wissen Sie auch, warum Sie damals die Prügel erhalten haben?«
    Als ich den Kopf schüttelte, fuhr sie fort: »Sie dürfen es der Guten nicht gar so übel nehmen. Aber Sie hatten sie ja auch in eine arge Verlegenheit gebracht. Ich muß den Donatischen Kometen vom Jahre 1858 noch einmal an den Himmel malen, wenn ich Ihnen erklären soll, wieso. Haben Sie eine Vorstellung, wie der damals ausgesehen hat?'
    »Wie eine Zuchtrute aus glühenden Eisendrähten hat er über dem Dorfe gestanden.«
    »Und für eine Zuchtrute hat ihn auch das Volk genommen. »Gott will seine mißratenen Kinder züchtigen,« so sagten sich die Leute untereinander. »Kriege werden kommen, Erdbeben auftreten, ja der Weltenuntergang ist so gut wie sicher. Wehe alle denen, die jetzt nicht in sich gehen.«
    Man lief zu den Beichtstühlen, und die Rosenkranzhändler hatten goldene Zeiten. An jedem Abend, den Gott am Himmel erscheinen ließ, versammelte sich eine fromme Schar am Fuße der hohen Schultreppe, und der Erbhannädel belehrte die Leute über all' die Zeichen, die dem letzten Gerichte vorangehen würden. ›Die Erde wird ihren Mund auftun und Feuer speien, und warmes Wasser wird niederregnen aus den Wolken.‹ Na und das letztere war in diesem Augenblicke wahr geworden.«
    »Ich fange an, zu begreifen,« unterbrach ich plötzlich. »Sollte ich an diesem Tage getan haben, was an jedemAbend vor dem zu Bette

Weitere Kostenlose Bücher