Erlebnisse eines Erdenbummlers
jetzt alle Freude, aller Stolz über den feierlichen Tag und den neuen Anzug plötzlich von mir genommen waren. Ja, ja, der Pfarrer hatte breitspurige Worte gemacht, als er uns erzählte, daß der große Napoleon den Tag seiner ersten Kommunion als den glücklichsten seines Lebens bezeichnet habe. Schon möglich. Der Schlachtenlenker war vielleicht ein frommer Knabe gewesen, sicher aber hatte ihm keine Aufkäuferin einen lebenden Blumenstrauß an den Rock gesteckt, sonst hätte er wohl gleich mir empfunden. O, wie ich mich schämte, daß ich, ich ganz allein, eine Ausnahme machen mußte, unter den Dutzenden meiner Kameraden. Ich wagte nicht aufzusehen, nicht zu husten aus Angst, ich könnte die Blicke der frommen Gemeinde auf mich lenken, auf mich, den Hoffärtigen, dem die Schirtingrosen nicht genügten, der einen Strauß lebender Blumen in seinem Knopfloch haben mußte.
Von des Pfarrers Predigt hörte ich nur wenig. Das Glück, den Heiland zu genießen, schätzte ich nicht hoch ein. Mir graute nur vor dem Augenblick, wo ich, von der Kommunionbank zurückkehrend, dem Publikum meine Vorderseite zuwenden mußte. Ach, da würden es dann tausend Augen sein, die meinen Strauß sahen, und tausend Gehirne, die den Gedanken hegten: »Da seht den Affen! Er muß natürlich was Extras haben.«
Ich kam auf den Gedanken, meine Blumen loszuzerren und sie unbemerkt auf den Boden fallen zu lassen. Der Versuch mißlang. Mit schwarzem Zwirn hatte man die Rosenstengel am Rock festgenäht. Aber was hätte ich wohl gewonnen, wenn ich ohne Strauß von der Kommunionbank zurückgegangen wäre? »Der Affe muß etwas Extras haben,« hätten von hundert sicher neunundneunzig gedacht, »er trägt keinen Strauß. Hatten sie kein Geld, einen anzuschaffen?« Man überlege nur, wie mich der Gedanke quälte und die Schmach, die er in sich schloß. Ach damals, da ich ja noch keine Bücher geschrieben hatte und noch eine so empfindsame Seele hatte, die sich krümmte, wie das Blütenblatt der Mimose, wenn sie unzart betastet wurde!
Wie die Sache schließlich ausging? Nun, die Blumen selber hatten Mitleid mit meinen Seelenschmerzen. Bis das Hochamt zu Ende war, waren sie verwelkt und abgefallen. Am Nachmittag hatte ich einen Schirtingstrauß im Knopfloch und war, was meine Kameraden auch waren, und balgte mich mit ihnen auf den Wiesen herum. O selige Gemeinschaft der Altersgenossen, die noch kein Oben und kein Unten kennt, und glückliche Zeit, in der jeder Groschen für drei Kreuzer gilt, solang er rund ist und man ihn rollen kann!
Ich erzählte schon, daß ich mich langsam an den Gedanken gewöhnt hatte, ein Schuhmacher zu werden. Doch es kam anders. In der Wetterau war ein Beamter nach der Ewigkeit abgereist und hatte durch sein Sterben das lustige Leben seines Sohnes auf der Gießener Hochschule ertötet. Als der erste Monatswechsel ausblieb und kein Kredit mehr vorhanden war, kam der bemooste Bursche auf den Gedanken, ein Volksschullehrer zu werden. Er stellte sich dem hessischen Staate zur Verfügung und wurde nach Gadern bei Waldmichelbach versetzt. Die erste Veränderung, die nun mit seinem äußeren Menschen vorging, war, daß sein Schnurrbart ihm aus dem Gesichte verschwand, denn innerhalb der rotweißen Grenzpfähle war es einem Volksschullehrer untersagt, Haare auf der Oberlippe zu tragen. Georg Pfuhl, der Studiosus außer Dienst, rasierte sich also und ist für mich und noch drei andere Buben in meinem Alter die größte Anregung geworden, die wir jemals von einer Menschenseele empfangen haben. Der neugebackene Lehrer nahm das muntere Viergespann vor seinen Wagen und lenkte es ohne Peitsche. Es war erstaunlich, mit welchem Eifer wir uns in die Stränge warfen. Um es kurz zu machen, nach drei Monaten bereits meldetenwir uns Christof Haag und ich, zur Aufnahmeprüfung am Mainzer Gymnasium und übersprangen zwei Klassen, während Herr Pfuhl im abgelegenen Gadern saß, ohne daß eine Menschenseele eine Ahnung davon hatte, welche Kraft er war. Vielleicht säße er heute noch in dem grünen Wiesentälchen am Südabhang der Tromm oder läge auf dem Waldmichelbacher Kirchhof, wenn nicht eines Tages mein Bruder Karl aus Amerika gekommen wäre. Dieser war in St. Louis zu Geld und Ansehen gekommen und vermochte den Herrn Pfuhl zu bestimmen, daß er sich entschloß, mitzugehen nach der Neuen Welt. Drüben wußte man seine Talente besser zu schätzen. Er wurde Schulinspektor und erlangte eine Art von Oberaufsicht über die Lehranstalten eines
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