Erloest
mir wehtut, dass sie mich nicht beruhigen kann, schätze ich ihre Ehrlichkeit. »Kinder waren für ihn immer ein totales Tabuthema, vielleicht weil Dad ihn früher damit immer so bedrängt hat. Hat Jon denn in letzter Zeit noch mal etwas zu diesem Thema gesagt?«
»Nein.« Ich seufze. »Eigentlich haben wir überhaupt nur ein einziges Mal darüber gesprochen, ganz am Anfang unserer Beziehung, als das alles noch sehr frisch war. Aber da hat er nur sehr vehement klargestellt, dass er niemals Vater werden will. ›Kinder sind Monster‹, das hat er damals gesagt. Und das er für die Vaterrolle völlig ungeeignet ist. Du hättest ihn sehen sollen. Es war ihm bitterernst.«
»Hm. Und du hast ihn nie mehr danach gefragt?« Das scheint Sarah zu verwundern.
»Ich wollte nicht weiter dran rühren, das Gespräch damals hat ihn total aufgewühlt. Es schien mir außerdem gar nicht so besonders wichtig. Ich meine, ich dachte, dass das noch ganz lange Zeit hat, verstehst du? So mindestens noch fünf, sechs Jahre oder so. Aber jetzt, so plötzlich …« Ich schließe die Augen und spüre, wie mein Herz sich zusammenzieht. »Was, wenn er das Kind wirklich nicht will?«
Die Angst in meiner Stimme ist nicht zu überhören, und Sarah greift sofort wieder über den Tisch und legt ihre Hände über meine, drückt sie diesmal beruhigend.
»Unsinn. Jon liebt dich, und seit ihr zusammen seid, hat er sich total verändert. Er wird vielleicht nicht sofort Feuer und Flamme sein, aber das findet sich schon alles. Am Ende freut er sich bestimmt genauso wie du über das Baby.«
Ich würde ihr so gerne glauben, aber ich sehe das Flackern in ihrem Blick. Sie ist sich nicht sicher, denke ich bestürzt und habe plötzlich einen Kloß im Hals.
»Aber er ist so komisch in letzter Zeit, Sarah. So verschlossen. Er erzählt mir nicht mehr alles. Irgendwie habe ich fast das Gefühl, der alte Jonathan ist wieder zurück, so, wie er war, bevor wir zusammenkamen. Verstehst du? Ich komme manchmal gar nicht mehr richtig an ihn heran.«
Auch diesmal hoffe ich darauf, dass Sarah mich beruhigt. Doch das kann sie offenbar wieder nicht, denn sie seufzt tief, bevor sie antwortet.
»Den Eindruck habe ich leider auch. Ich habe versucht, mir einzureden, dass ich mich täusche, deshalb habe ich nichts gesagt. Aber wenn du das auch gemerkt hast …« Sie spricht den Satz nicht zu Ende, und wir sehen uns an, erkennen die Sorge im Blick des anderen.
Es wäre furchtbar, wenn Jonathan wieder so unnahbar würde, wie er war, als wir uns kennenlernten. Damals glaubte ich, dass es nur daran liegt, dass wir aus ganz verschiedenen Welten kommen: ich, die junge, unerfahrene Amerikanerin, nur zu Besuch in England, um ein Praktikum in seiner Firma zu machen – und er, der vermögende, sehr erfolgreiche Geschäftsmann, der außerdem zum englischen Adel gehörte. Aber es war nicht nur das, Jonathans Unnahbarkeit hatte auch etwas damit zu tun, dass er keine Gefühle zulassen konnte und wollte. Irgendwie habe ich es trotzdem geschafft, den Panzer zu durchbrechen, mit dem er sich umgeben hat, und konnte die Schatten vertreiben, die auf seiner Seele lasteten. Seitdem sind wir glücklich miteinander, und deswegen dachte ich, dass es immer so weitergeht – schon weil ich mir ein Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen kann. Doch wenn auch seine Schwester, die ihn viel länger kennt als ich, befürchtet, dass er wieder in seine alten Verhaltensmuster abgleiten könnte, dann ist das beunruhigend. Sehr beunruhigend sogar. Und macht mir nicht unbedingt Mut, wenn ich bedenke, was ich ihm bald gestehen muss.
»Was soll ich denn jetzt tun, Sarah?«
Einen Moment lang schweigt sie, überlegt. »Wann kommt Jon zurück?« Sie weiß, dass Jonathan auf Geschäftsreise in Frankreich ist, und ich erzähle ihr von meinem Telefonat mit ihm. »Okay, dann haben wir ja noch ein bisschen Zeit«, erklärt sie mir.
»Wofür?«, frage ich irritiert, doch Sarah ist schon aufgestanden. Sie holt ihre Tasche und sucht ihr Handy heraus.
»Ich mache dir einen Termin beim Gynäkologen. Du gehst auch zu Dr. Watkins, oder?« Meine Antwort wartet sie gar nicht ab, sondern tippt schon auf dem Display ihres Smartphones herum. »Schließlich hast du nur so einen komischen Test gemacht, wer weiß, ob der überhaupt zuverlässig ist. Wir lassen dich jetzt erst mal untersuchen, und dann sehen wir weiter.«
»Aber Sarah, heute ist Sonntag«, protestiere ich, was sie jedoch nur lächeln lässt. »Da arbeitet Dr.
Weitere Kostenlose Bücher