Eroberer
Schiffe.
»Ah, da seid ihr ja.« Bischof Ammanius kam auf sie zu, ein wohl kalkuliertes Lächeln in seinem breiten, gut genährten Gesicht. Er trug praktischere Kleidung als in Lunden: einen groben Kittel, eine Lederhose, feste Stiefel, einen Umhang. Begleitet wurde er von zwei jungen, mit schwerem Gepäck beladenen Mönchen; ihre geschorene Kopfhaut glänzte rosa. Ammanius bezeichnete sie als »Novizen« und schenkte ihnen kaum einen zweiten Blick.
Außerdem war das britische Mädchen namens Sulpicia
bei ihm. Wuffa konnte den Blick nicht von ihr wenden. Die robuste, beinahe männliche Kleidung, die sie an diesem Tag trug, unterstrich die zarte Schönheit ihres Gesichts. Sie sah stark aus, fand er, stark und gelenkig. Sie war eine Britin, eine Christin, sie war anders – aber sein Körper scherte sich dennoch nicht im Geringsten darum.
Er trat auf sie zu. »Du bist also doch gekommen«, sagte er.
Sie erwiderte seinen Blick. »Mein Vater ist wohlbehalten unterwegs nach Armorica. Ich besitze einige Fertigkeiten im Lesen und Schreiben; ich glaube, ich werde dem Bischof von Nutzen sein.«
»Und du wirst fünfzig Tage bei uns sein, vielleicht auch noch länger. Welch ein Glück für mich.«
»Wir haben eine heilige Mission zu erfüllen«, sagte sie mit leisem Spott. »Das sollte für uns an erster Stelle stehen.«
»Mag sein, aber ich bin kein Christ.«
»Dann haben wir einander nichts mehr zu sagen.« Sie wandte sich ab. Die sanfte Brise vom Meer wehte ihr die Haare ins Gesicht. Sie lächelte.
Das Spiel ist eröffnet, dachte er mit einem warmen Gefühl im Bauch.
Ammanius bestand darauf, ihnen die Hafenstadt zu zeigen. Innerhalb der Mauern des alten römischen Kastells standen Holzhäuser auf den Grundmauern zerstörter Steinbauten. Auf einem niedrigen Hügel im Zentrum des Kastells deutete er auf eine komplizierte Abfolge von Fundamenten und Mauerresten. »Hier
haben sie einen Bogen gebaut, um Claudius’ Triumph zu feiern. An diesem Ort sind die Römer zum allerersten Mal gelandet.« Er sog die scharfe, salzige Luft tief in die Lungen. »Damals hatten sie Christus noch kaum vom Kreuz abgenommen. Später wurde der Triumphbogen abgerissen, weil man Baumaterial für die Mauern des Kastells brauchte, um euch arschhaarige Räuber und eure mückenstichartigen Angriffe auf die Küste abzuwehren. Aber ihr seid trotzdem gekommen. Und dann hat ein König namens Vortigern hier an dieser Stelle eine große Schlacht gegen euch ausgetragen und gesiegt …«
Britannien war eine römische Diözese mit Londinium als Hauptstadt gewesen. Die Briten hatten das kaiserliche Joch aus eigener Kraft durch eine Rebellion abgeworfen. Die Diözesanverwaltung war zusammengebrochen, aber die vier Unterprovinzen hatten überdauert. Die Provinzstaaten waren erfolgreich. Die alten Städte und Landgüter funktionierten weiter; es wurden nach wie vor Steuern eingetrieben. Die des Lesens und Schreibens kundigen christlichen Briten hatten ihre römische Kultur sogar bis an den äußersten Rand Britanniens exportiert, in den Westen und Norden und nach Irland, an Orte, wo der Legionsadler niemals geflogen war.
Doch in dem entstandenen Machtvakuum nutzten starke Männer ihre Gelegenheiten. Hier im Südosten kämpfte sich ein Mann namens Vitalinus an die Spitze eines Haufens von Stadträten und Militärbefehlshabern. Geleitet von dynastischen Erwägungen, heiratete
er die Tochter von Magnus Maximus, einem der vielen damaligen Anwärter auf das kaiserliche Purpur. Bald nannte er sich »Vortigern«, ein Wort, das so etwas wie Oberkönig bedeutete. Er war der Aethelberht seiner Zeit gewesen.
Da ihm jedoch gut ausgebildete Soldaten fehlten, heuerte Vitalinus sächsische Söldner zum Schutz an. Die Sachsen schlugen Angriffe der Pikten aus dem Norden zurück. Doch als Südbritannien von einer Seuche heimgesucht wurde und Vitalinus’ Steuereinnahmen rasant schrumpften, rebellierten die um ihren Sold betrogenen Sachsen.
»Anfangs hat Vitalinus sich gut geschlagen«, sagte Ammanius. »Sein Sohn, Vortimer, hat hier bei Reptacaestir jenen großen Sieg errungen. Das war, oh, vor ungefähr hundertfünfzig Jahren. Dein Ururgroßvater hat vielleicht an dieser Schlacht teilgenommen, Wuffa! Ich bezweifle, dass eure Dichter Lieder über die Niederlagen singen. Aber der Triumph der Britannier konnte nicht von Dauer sein …«
Binnen fünf Jahren brachen die Sachsen aus ihrer Insel-Enklave aus. Und neue Wellen von Einwanderern trafen ein. In Wuffas Dorf
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