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Eroberer

Eroberer

Titel: Eroberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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Ammanius unterhielt sich öfter mit Wuffa. Er sagte, er sehe den »leeren Geist zweier heidnischer Jungen« als Gefäß, das mit der Wahrheit seines Gottes gefüllt werden müsse. Doch wenn sich der große Nordmann bewegte, folgten ihm die Augen des Bischofs, als wäre Ulf ein faszinierendes Tier.
    Eines langen Abends saßen die vier in einem vom Feuerschein erhellten Raum tief im Innern eines windgepeitschten Landhaus-Klosters. Sie waren allein, bis auf einen Novizen, der ihnen Speisen und Getränke brachte. An den Wänden hingen Wandteppiche, und auf dem Boden lag ebenfalls ein dicker Teppich. Dies sei das triclinium des römischen Gutshauses gewesen, erklärte der Bischof, ein Wort, das Wuffa nichts sagte; offenbar bezeichnete es eine Art Wohnraum. Den Mönchen zufolge dienten die Teppiche und Wandbehänge dazu, die heidnischen Symbole an den Wänden und auf dem Boden vor frommen Blicken zu verbergen und zugleich ein Gemach zu wärmen, dessen Bodenheizungssystem schon längst nicht mehr funktionierte.

    Ulf und Sulpicia spielten ein kompliziertes Spiel mit vom häufigen Gebrauch abgenutzten Würfeln und Spielfiguren, die von den ursprünglichen Besitzern des Landguts zurückgelassen worden waren und sich jetzt bei den Novizen großer Beliebtheit erfreuten. Sulpicia saß auf ihrer Liege nah bei Wuffa: ihre Tunika fiel lose um die weiche Haut ihres Halses. Wuffa registrierte jedes leise Lachen, in das Ulf und sie einstimmten; er sah, wie Ulfs zerzauste goldene Haare ihre dunkle britische Stirn streiften, wie ihre Finger sich über der schmutzigen Oberfläche des hölzernen Spielbretts berührten.
    Seit ihrer Begegnung an jenem entscheidenden Tag in Lunden hatte Wuffa geglaubt, eine Abmachung mit Ulf zu haben, dass Sulpicia ihm gehörte oder es doch zumindest ihm vorbehalten war, es als Erster bei ihr zu versuchen. Aber konnte man Ulf trauen? War er raffinierter als Wuffa, arbeitete er im Stillen daran, sich einen Vorteil zu verschaffen? Wuffa war verwirrt und hatte das Gefühl, ins Hintertreffen geraten zu sein.
    Und so wie Wuffa Sulpicia beobachtete, beobachtete Ammanius Ulf.
    Ammanius beugte sich nah zu Wuffa, und der Sachse konnte den schalen Wein in seinem Atem riechen. »Ihr Germanen fasziniert mich«, sagte er. »Ihr errichtet keine Weltreiche. Ihr kennt keine Werte außer der Loyalität zur Halle eures Häuptlings, wo eure Kriegsherren herumsitzen und sich betrinken. Eure Gesetze – sofern ihr überhaupt welche habt – sind außerordentlich brutal. Bei euch hat das Leben eines Mannes
sogar einen Preis, nicht wahr? Eine Strafe, die man bezahlen muss, wenn man es ihm nimmt?«
    »Wir nennen es wergild .«
    »Nichts als eine Rationalisierung der barbarischen Blutfehde. Und ihr verschafft euren Gesetzen Geltung, indem ihr Menschen zu Krüppeln macht, indem ihr Augen ausstecht, Zungen herausschneidet und Gliedmaßen abhackt. Ich habe gesehen, was dabei herauskommt! Eure Gesellschaft ist durchsetzt von Gewalt; sie wird von ihr beherrscht. Ihr habt keine nennenswerte Medizin; die Kranken, Behinderten und Alten schickt ihr in den Tod.«
    »Glaube nicht alles, was du von unseren Feinden hörst«, sagte Wuffa in ruhigem Ton.
    »Selbst eure Religion ist nur ein wüstes Sammelsurium von Mythen und Sagen. Eure Geschichten von Woden, von eurer Erdmutter Frig … Jesus Christus.« Er nahm einen weiteren tiefen Schluck aus seinem Weinkelch, den ein nervös dreinschauender Novize erneut füllte. »Und dennoch«, sagte Ammanius, das Kinn rot glänzend von vergossenem Wein, »und dennoch habt ihr viel Beneidenswertes. O ja! Die Leidenschaft eines Kriegervolkes, die primitive Vitalität. Eure gutturale Sprache ist voller Wörter für ›Liebe‹, für ›Ehre‹ – so anders als die kalte Förmlichkeit des Lateinischen …« Er rülpste, beugte sich noch weiter vor, fiel von seiner Liege und landete schwer auf dem mit einem Teppich bedeckten Boden.
    Der Novize kam eilig und mit resignierter Miene herbei. Wuffa und er fassten den Bischof jeweils unter
einem Arm, zerrten ihn mühsam auf die Beine und führten ihn aus dem Raum.
    »Die Liebe zwischen Kriegern«, rief Ammanius. »Das Band zwischen starken Männern! Gibt es ein solches Band zwischen dir und deinem Nordmann, Wuffa? …« Aber er würgte, und sie schafften es nur mit knapper Not, ihn zur Tür hinauszubringen, bevor er sich heftig erbrach und weindunkle Galle über den Teppich verspritzte.
    Ulf und Sulpicia hatten während dieses Wortwechsels geschwiegen. Sie

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