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Eroberer

Eroberer

Titel: Eroberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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in sein Heimatdorf. Coenred hieß den abgerissenen Wanderer willkommen, bewirtete ihn mit Fleisch und Bier und befahl dem kostbaren einzigen Sklaven des Dorfes, für sein Wohlergehen zu sorgen.
    Das Dorf selbst war heimelig, ein dicht gedrängter Haufen von Pfostenhäusern, aus deren Strohdächern Rauch emporstieg. Zum Fauchen des Blasebalgs aus der Schmiede gingen die Leute ihren täglichen Aufgaben nach, unterhielten sich in ernstem Ton über geschäftliche Angelegenheiten und liefen hinter Kindern und Hühnern her. Die massiveren Häuser besaßen mit Schnitzereien verzierte Türpfosten, die aus dem alten Land übers Meer hierher gebracht worden waren, eine Erinnerung an die Heimat. Um die Hallen herum standen primitivere Hütten mit tiefer liegenden Böden, Werkstätten, in denen Tuch gewoben, Eisen bearbeitet oder Zimmermannstätigkeiten ausgeführt wurden, und dahinter lagen die Pferche für die Hühner, Schafe und Schweine. Es gab keine Straßenplanung, wie Wuffa sie in den Ruinen von Lunden gesehen hatte; die Häuser wuchsen, wo sie wollten, wie Pilze.

    Das Dorf von Coenred und seiner Sippe war eine von Hunderten solcher Ansiedlungen, die sich in einen großen Gürtel um Lundens Mauern zogen. Durch die alten Hafenanlagen und den neuen Handelsbezirk namens Lundenwic strömten immer noch genug Reichtümer herein, um Lunden für Aethelberht und seine Unterkönige wertvoll zu machen. Dazu kam das Ansehen, den riesigen Kadaver der ehemals wertvollsten Stadt in Britannien zu besitzen. Lunden zog die Menschen an; sie wollten hier leben und arbeiten.
    Als der Abend nahte, füllte sich die größte Halle des Dorfes. Ein Feuer loderte im Kamin, und die Menschen versammelten sich auf Bänken und aufgeschüttetem Stroh; im Feuerschein glänzten ihre Gesichter wie römische Münzen. Viele hatten sich anlässlich des Skop -Besuchs besonders herausgeputzt und trugen saubere, bunte, mit Fibeln verzierte Kleider, dazu Halsketten aus Bernstein und Stücken alten römischen Glases sowie silberne Fingerringe. Die Männer hatten ihre Saxe an der Hüfte, jene Messer mit dem Knochengriff, die dem Volk seinen Namen gaben. Viele der Älteren bogen und streckten arthritische Finger und Gelenke. Mit seinen vierundvierzig Jahren war Coenred einer der ältesten.
    Wuffa war mit fast jedem der Anwesenden verwandt; dies war seine Familie.
    Das Bier kreiste, und die Stimmung heiterte sich auf; hier und dort war Gelächter zu vernehmen. Schließlich erhob sich der Skop mit seiner traditionellen Aufforderung: »Hört mich an!« Er wirkte ein bisschen
unsicher auf den Beinen, doch als er sprach, war seine Stimme kräftig und klangvoll. »Hört mich an, ihr Götter! Sehnsucht und Reue drücken mich nieder. Ich erwache in nebelschwangerer Luft und bestelle den Boden eines trostlosen Landes. Denn ich bin meinem Herrn übers Meer gefolgt, und meine Heimat ist weit entfernt. Die Felder meiner Väter versinken im Meer. Meine Kinder verkümmern in trübem Dunkel. Denn ich bin meinem Herrn übers Meer gefolgt, und meine Heimat ist weit entfernt …« Während er sich in sein Thema hineinsteigerte, ein typisch sächsisches Klagelied von Verlust und Reue, stimmten die Erwachsenen, die sanft zu den Rhythmen seiner Rede schunkelten, in den Kehrreim ein.
    Dieser Bischof hatte recht, dachte Wuffa. Die Sachsen waren ein trübsinniger Haufen. Dann begann das Bier auch bei ihm seine Wirkung zu tun, und seine Gedanken wurden milder. Er ließ sich von der tröstlichen, düsteren Stimmung in der Halle erfassen, murmelte zusammen mit den anderen Männern den traurigen Kehrreim des Skops und träumte von den blassen Schenkeln des britischen Mädchens, Sulpicia.
    Als die Nacht hereinbrach, kam das unheimliche Weiß des Kometen zum Vorschein wie Gebein nach dem Verwesen des Fleisches, und sein unirdisches Licht drang in die Wärme der Halle.

V
    Reptacaestir war ein römisches Kastell mit gewaltigen Mauern und runden Türmen, angelegt nach einem kalten Plan. Es ähnelte einem Steingrab. Einen größeren Kontrast zu Coenreds warmem Dorf konnte man sich kaum vorstellen.
    An Ulfs Seite führte Wuffa sein Pferd vorsichtig in die geschäftige Hafenstadt hinein. Hier, nahe der Ostküste, lag das Land völlig flach unter einem riesigen, verwaschenen Himmel. Wuffa roch das Meer. Sie stiegen ab und standen unsicher inmitten Scharen nordischer und germanischer Händler. Dicht gedrängte Gruppen britischer Flüchtlinge hockten schweigend auf dem Boden und warteten auf ihre

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