Eros und Asche
reisen, eine Flucht, auch vor der eigenen Unfähigkeit (mich mit anderen zusammenzutun, das Herz einer Frau zu gewinnen, endlich ein Buch zu schreiben, anstatt Bilder zu malen); der Anfang einer Trennung unserer Lebenswege, bis am Ende jeder seinen besonderen See hatte, er den versteckten zwischen Wald und Schilf, ich meinen unversteckten zwischen Bergen und Zypressen, und wir noch einmal, auch wenn wir nur telefoniert haben, wie nebeneinander am selben Ufer saßen.
M.s plötzliches Erzählen von dem versteckten See, auf dem zu rudern für ihn mit Sicherheit das letzte Glück war, hatte nicht nur etwas Erschütterndes, es hatte auch etwas Verbindendes, als teilten wir uns wieder zwei Schwestern, die eine zart, die andere kräftiger. Schon nach den ersten Sätzen, meiner immer gestellten Frage, ob ich ihn störe, und der immerselben gemurmelten Antwort Neinneinwieso, hatte ich gesagt, von wo mein Anruf kam, nicht aus Frankfurt, sondern vom Gardasee, aus dem Haus oberhalb von Torri – ich sei dort allein und schaute vom Dach zu den Lichtern am gegenüberliegenden Ufer –, nur fing er darauf nicht gleich von seinem See an. Er wartete bis zur ersten kleinen Pause – Ziehen eines Weinkorkens auf meiner Seite –, um dann wie aus dem Nichts mit dieser Ruderglückgeschichte zu kommen. Es war eine Juninacht, in der wir zum letzten Mal telefoniert haben, mit einer warmen Luftmasse, die vom Südrand der Alpen bis nach Brandenburg reichte, und er freute sich schon auf seine Wochen an diesem See im August. Auf das frühmorgendliche Aufstehen und das Gehen durch den Wald freute er sich, erst auf Kiefernnadeln, dann auf märkischem Sand, bis zu dem Steg, an dem das Boot lag, blau gestrichen; er freute sich auf das Einsteigen und Abstoßen durch raschelndes Schilf und auf das erste Eintauchen der Ruderblätter in ein Wasser, das morgens um sieben noch die Farbe von Moor hatte, dazu glatt wie ein Spiegel. Man wage kaum, die Ruder durchzuziehen, es sei eher ein Paddeln, die Blätter wie eine Verlängerung der Arme, die das Wasser sachte teilten, so, dass es sich hinter einem gleich wieder schließe, mit einer unsichtbaren Welle, die zum Ufer gehe und die ersten Halme im Schilfgürtel bewege. Das ist am Anfang alles, sagte er, bis die Sonne durch die Kiefern dringt, ihr erster Strahl die Farben verändert, dem See etwas Smaragdenes gibt, oder ist das zu viel, dieses Wort? Sein ersticktes Lachen drang aus dem Hörer, schlimmer als sonst, und ich sagte, nein, es sei in Ordnung, und er war schon wieder bei dem See: der später am Tag den Ton von Salbei habe – aber den gibt’s ja nur bei dir, kam es heiser lachend, und von meiner Seite die Frage nach dem Namen des Sees, und er nannte einen Namen und bat mich, ihn zu vergessen oder einen zu erfinden, so, wie ich für mich einen erfunden hätte, die Odette-Haussmann-Geschichte, und ich rief ihm ein Ja zu, Ja, natürlich, und M. sprach weiter, aber nicht mehr von dem See; er sprach von seinen Beinen und von Berlin, von dem Gefängnis einer Wohnung im vierten Stock ohne Fahrstuhl. Er saß dort allein, während wir telefonierten, die Gefährtin, wie er sie halblaut nannte, war angeblich bei ihrer Schwester, und ich saß allein auf dem Hausdach, tausend Kilometer von Nord nach Süd trennten uns trotz gemeinsamer Luftmasse, nur lag in seinen Worten eine Nähe, die wiederum mit Worten nicht nahezubringen ist. Selbst wenn man jedes Wort mitnotiert hätte, bliebe es eine unlösbare Aufgabe: das Heiße all dieser Worte aus M.s Mund wiederzugeben, sein Erzählen von einem Sommermorgen, als sei es sein letzter oder der einzige, den ein zu lebenslanger Haft Verurteilter aus Gnade gewährt bekommt. Für mein Ohr aber auch ein Erzählen wie von einer Geliebten, der man sich nur frühmorgens, zur Unschuldsstunde, auf Zehenspitzen nähert, um sie im Halbschlaf zu lieben.
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Das Paar vor lösbaren Aufgaben – die Frau überlegt, was sie am Abend auf einem Sommerfest in Mainz anziehen soll, nicht so ganz einfach, denn die Gastgeberin scheint über eine unerschöpfliche Garderobe zu verfügen, jedes Stück immer so neu wie die Nachrichten, die sie moderiert, während der Hausherr dem männlichen Gast die Kleiderfrage geradezu abnimmt (wie sich auch U. im Grunde nicht für Kleidung interessiert, sie stellt nur Scheinüberlegungen an und greift dann zum Bewährten). Und so bereitet dem Mann diese Frage nur insofern Kopfzerbrechen, als es ihm um die möglichst perfekte Ablenkung geht: um Kleidung, die
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