Erregende Ermittlungen
Berührung schien er überhaupt nicht zu registrieren.
„Können Sie selbst heimfahren?“ fragte Megan besorgt. Nicht dass der Junge nun auch noch eine Dummheit beging.
„Klar“, flüsterte er wenig überzeugend. Megan warf einen kurzen Blick auf ihren Schreibtisch und auf den Fragebogen dort („Frage 23: Stehen Sie derzeit privat unter emotionalem Stress?“), und traf eine schnelle Entscheidung.
„Kommen Sie! Ich mache ohnehin jetzt Schluss und will noch in meiner Stammkneipe vorbei schauen. Und Sie sehen so aus, als könnten Sie jetzt auch dringend ein Bier vertragen. Lassen Sie Ihren Wagen hier stehen und nehmen später ein Taxi, ja?“
„Hm?“ John blickte halb auf, immer noch gefangen in seiner eigenen Welt aus betäubter Bestürzung. Megan verspürte den plötzlichen Drang, ihm ganz sanft mit einer Hand über die Wange zu streichen und ihm zuzuflüstern, dass bestimmt alles bald wieder gut wird. Stattdessen griff sie nach seinem Ellenbogen.
„Es ist nur drei Blocks weit. Mein Wagen steht hinten.“
Kapitel 3: Nur ein Glas
Das „Dingo“ in der South Hoover Street stellte eine ziemlich nichtssagende Bar im verblichenen Schick der frühen Neunziger dar. Damals verkehrten hier noch hippe Studenten, junge New-Economy-Gewinner und Leute vom Film. Seitdem hatte das Lokal mehrmals den Besitzer gewechselt, ohne dass dies größere Veränderungen in der Einrichtung oder in der Getränkekarte nach sich gezogen hätte. Dennis, der jetzige Inhaber, führte das Etablissement so stoisch und zurückhaltend, dass es bei den verlorenen Seelen der Nachbarschaft inzwischen sehr beliebt war.
Aus Megans Sicht bestand der größte Vorzug des „Dingo“ darin, dass es nur fünf Minuten von ihrer Wohnung entfernt lag. Sie kam fast jeden Abend hierher, wenn sie nichts Besonderes vor hatte. Genau der richtige Platz für ein oder zwei Gläser, um runter zu kommen. Ansonsten war einfach die Gefahr zu groß, dass sie sich stundenlang schlaflos im Bett wälzte, während sie gleichzeitig heulen wollte vor Einsamkeit und vor Wut mit den Zähnen knirschte. Wut auf sich selbst, und Wut auf andere. Wut auf Kollegen, die ihr dumm gekommen waren. Wut auf den Captain. Wut auf Spike natürlich, ihren Ex-Mann. Wut auf ihren Vater, und auf ihre Mutter. Es gab immer reichlich Auswahl an Leuten, auf die sie wütend sein konnte. Dann würde sie irgendwann aufstehen, sich vor den Fernseher setzen, und ein paar Stunden lang auf unsägliche Spielshows oder steinalte Wiederholungen starren, bevor ihr die Augen zufielen.
John war fügsam mitgekommen, fast ohne ein Wort zu sprechen. Er hatte selbst die Tür ihres alten Audi aufgemacht, sich hingesetzt und angeschnallt, und war ihr nun durch die Tür des Lokals gefolgt. Dennoch hatte sie das untrügliche Gefühl, dass ihre neue Bekanntschaft auf Autopilot lief und gar nicht richtig mitbekam, wo er war und was er tat. Erst als er neben ihr auf dem Hocker an der Theke saß und nach dem Glas griff, das sie für ihn geordert hatte, ließen seine Bewegungen eine Spur von Leben erkennen.
Dennis, der ausgemergelte Barmann, hatte ihre Bestellung völlig ungerührt entgegen genommen, so als wäre dies nicht das erste Mal in drei Jahren, dass sie hier in Begleitung auftauchte. Auftauchte in Begleitung eines deutlich jüngeren Mannes, um genau zu sein. Nun hob er seine Augenbrauen um einen Millimeter, als er Johns Zustand erkannte. Das kam bei ihm einem unkontrollierten Gefühlsausbruch gleich. Nach einem schnellen Blick zu Megan wandte er sich wieder ab und folgte dem Wink eines anderen Gastes.
Megan spürte Wut auf Dennis. Und Wut auf sich selbst, weil sie das Bedürfnis hatte, ihm zu erklären: „Das ist nicht so, wie es aussieht, mein Lieber! Ich kümmere mich nur ein wenig um den armen Kerl. Der ist ja völlig durch den Wind. Seine Freundin hat gerade am Telefon mit ihm Schluss gemacht. Ich will nichts von ihm, klar? Will ihm nur ein Glas oder zwei einflößen, damit er keinen Quatsch macht. Ich will ihn nicht mit zu mir nehmen, oder in mein Bett zerren, oder über ihn herfallen wie ein ausgehungerter Tiger, und mich hemmungslos mit ihm über die Matratze wälzen. Auch wenn er gut aussieht und so lecker riecht, das will ich echt nicht. Auch wenn er vermutlich ein sehr aufmerksamer, zuvorkommender Liebhaber ist, der nicht ruhen wird, bevor ich nicht zwei oder drei Höhepunkte hatte, die man noch im Studio unten hören kann…“
„Ich kann es einfach nicht verstehen“, sagte John leise.
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