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Titel: Error Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Stephenson
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langweilig, und daher wechselte er zum wachsenden Verdruss seines Navis auf Landstraßen.
    Trotz der klammheimlichen Abreise aus dem Ramada war sein Kopf voll mit Familienkram. Er war in der falschen Farbe aufgewacht! Bevor er in die Nähe der Grenze zwischen Iowa und Missouri käme, müsste er sämtliche Spuren von Blau aus seinen Gedanken verbannt und ein sattes Grün erreicht haben.
    Es war nämlich kein rein freundschaftliches Treffen. Nuancen im heutigen Gespräch, Dinge, die unausgesprochen blieben oder im falschen Ton gesagt würden, konnten kostspielige Folgen haben. Für den größten Teil des Landes mochte der Tag nach Thanksgiving arbeitsfrei sein, nicht jedoch für Skeletor. Das provinzielle Brauchtum der Vereinigten Staaten rund um das Truthahnessen war für die hyperinternationale Kundschaft, die er und Richard gemeinsam bedienten, von keinerlei Bedeutung. Und selbst ihre amerikanischen Spieler, die sich tags zuvor vielleicht ein paar Stunden für familiäre Verpflichtungen freigenommen hatten, würden den größten Teil dieses Tages darauf verwenden, in der Welt von T’Rain nach virtuellem Gold und mittelbarem Ruhm zu suchen, was ihn für die Server von Corporation 9592 und die Systemadministratoren, die sie in Gang hielten, zu einem der schwersten Tage des Jahres machte.
    Richards Gedanken drifteten jedoch immer wieder ins Blau ab. Es war wie ein Rätsel in einem Videospiel: Er musste herausfinden, was ihn wirklich beschäftigte. Die Furiosen Musen waren es nicht; nach einem kurzen empörten Aufheulen, als er fast dem Pickup hinten reingefahren wäre, hatten sie schon seit Stunden geschwiegen.
    Irgendwo in der Nähe von Red Oak kam er endlich darauf: Es war der kurze, aber unangenehme Wortwechsel mit dem angeheirateten, Wikipedia lesenden Verwandten.
    Dabei ging es gar nicht um den Inhalt des Wikipedia-Eintrags. Was Richard störte, war die bloße Tatsache, dass so ein Ding existierte und dass er zu einem Zeitpunkt unvermittelt daran erinnert worden war, als er einfach nur Dodge sein, am Ort seiner Kindheit herumhängen, für Iowa normale Dinge tun wollte.
    Der besagte Eintrag begann mit einer Zusammenfassung dessen, was Richard jetzt war, und ergänzte biografische Details nur dann, wenn sie den mysteriösen Stalkern/Autoren, die solche Dokumente zusammenstellten, relevant vorkamen. Er war nicht bedeutend und der Eintrag nicht lang genug für einen biografischen Abschnitt, der die ganze Geschichte in Erzählform darstellte. Was ihm völlig falsch erschien, weil man ihn so, wie er jetzt war, nur verstehen konnte, wenn erzählt wurde, wie er so geworden war.
    Als er diese Bärenhaut den Selkirk Crest hinuntergeschleppt hatte, hatte er das ohne Plan – ja sogar ohne Motiv – und bestimmt ohne Landkarte getan. Die Bergrücken waren steil und felsig. Wie eine Fackel brannte die Sonne auf sie herab. Wasser entsprang dort keins. Versuche, in die kühl aussehenden Täler hinabzusteigen, wurden durch die dichte Vegetation vereitelt, »Hundefell«, wie die wenigen Menschen, die tatsächlich in diesen Gegenden wohnten, sie nannten, anscheinend, weil es dem Wanderer einen Eindruck davon vermittelte, wie es sein musste, als Floh über das Hinterteil eines Hundes zu navigieren. Halb verrückt vor Hunger und Erschöpfung überquerte er eine lange Geröllhalde, die sich rampenartig hinunter in die Überreste eines stillgelegten Silberbergwerks zog, dann stieg er durch einen Hundefellgürtel hinab und kam zu seiner Überraschung in ein altes Zedernwäldchen. Erst Jahrzehnte später würde er den Begriff »Mikroklima« lernen. Damals spürte er nur, dass er durch ein Wurmloch in einen feuchtkalten, über dem Pazifik gelegenen Regenwald trat. Dessen Blätterdach war so dicht, dass es die Energiezufuhr zu allem, was sich darunter befand, abschnitt; deshalb gab es dort zum Glück kein Unterholz, und aus einer Quelle weiter oben am Hang floss ein Bach mitten durch dieses Gelände. Vielleicht war es nur ein Hitzschlag und niedriger Blutzucker, aber ihn überkam ein Gefühl von Heiligkeit. Nachdem er sein Bündel abgeworfen hatte, setzte er sich in den Bach, ließ das kalte Wasser seine Kleider erkunden, legte sich auf den Rücken, keuchte vor Kälte, rollte sich auf den Bauch und trank.
    Seine Vorstellung, der erste Mensch zu sein, der diesen Ort je betreten hatte, zerschlug sich schon kurz darauf, als er, nur ein paar Meter von dem Wasserlauf entfernt, das Fundament einer alten, einen Raum umfassenden Hütte entdeckte.

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