Error
allmählich dämmerte ihr, dass aus Iwanows Sicht die Quintessenz dessen, was sie gesagt hatte, womöglich darin bestand, dass Wallace alles vermasselt hatte und eine Strafe verdiente. Was sie nun befiel, war fast ein Gefühl der Lähmung.
Zu ihrer eigenen großen Überraschung und dann auch Beschämung fing sie an zu weinen. Sie beugte sich vor und legte das Gesicht in die Hände.
»Ich bin Iiidiot!«, rief Iwanow. »Ich bin dümmster Mann von Welt.« Er stand auf. In der Befürchtung, er könnte herüberkommen und sie trösten, spannte Zula ihre Muskeln an und zwang sich, sich für einen Moment zu beherrschen. Sie wagte nicht aufzublicken. Durch Tränen und Finger hindurch konnte sie Iwanows glänzende Schuhe umhergehen und schließlich den Raum verlassen sehen. Dann ließ sie eine Reihe kleiner Japser und Schluchzer los, allmählich gemischt mit Wut auf sich selbst und Frustration darüber, dass sie so ein einfältiges Mädchen war. Richtig geweint hatte sie seit der Beerdigung ihrer Mutter nicht mehr.
Vielleicht fünfzehn Sekunden später war Iwanow schon wieder da. Sie konnte seine Schritte hinter dem Sofa hören. Als etwas Schlaffes, Schweres ihr auf die Schultern fiel, zuckte sie zusammen. »Was stimmt mit Ihnen nicht?«, wollte Iwanow wissen. Er sprach Peter an. Zula wurde klar, dass Iwanow Peters Arm gepackt und ihr über die Schultern geworfen hatte, wo er ihn jetzt wie feuchten Zement in einer Gussform festdrückte. Da gewann sie die Fassung wieder, aber sicher nicht, weil Peters Arm um ihre Schultern lag, sondern wegen einer wenn auch sehr düsteren Art von Komik, die der Situation innewohnte: Dieser Iwanow, wer und was immer er auch war, der von Toronto hierhergejettet kam, um Peter eine Lektion in Ritterlichkeit gegenüber seiner Freundin zu erteilen, und Peter in der Falle, unfähig, zu erklären, dass sie sich gerade getrennt hatten.
Iwanow verteilte an alle im Raum Befehle. Menschen kamen in Bewegung; Handys wurden aufgeklappt. Zula setzte sich gerade hin, indem sie sich gegen das Gewicht von Peters Arm aufrichtete, und Peter, der schreckliche Angst vor dem hatte, was ihm widerfahren würde, wenn er Iwanow nicht gehorchte, ließ ihn da, wo er war, ein totes, über ihre Schultern drapiertes Wiesel.
»Gibt nur eins, was ich wirklich glaube, nämlich, dass jemand hat mich beschissen«, verkündete Iwanow mit dem üblichen entschuldigenden Kopfnicken zu Zula. »Können Sie bisschen Russisch? Kto Kvo . Spruch von Lenin. Er bedeutet: ›Wer wen?‹ Heute bin ich Wen . Derjenige, der beschissen wurde. Ich bin toter Mann. So tot wie er.« Er wies mit dem Kopf nach nebenan. Zula hörte, wie ihre Lunge sich mit einem Keuchen füllte. Iwanow fuhr fort: »Das ist nicht Frage. Frage ist Art von meinem Tod. Mir bleibt noch etwas Zeit. Vielleicht zwei Wochen. Würde ich gerne gut verbringen. Glorreich kann ich nicht mehr sterben, dazu ist zu spät. Kann aber besser sterben als er.« Ein erneutes Kopfnicken. »Ich kann als Wer sterben und nicht als wen . Ich kann meinen Brüdern zeigen, dass ich habe für sie gekämpft bis zum Schluss, trotz chorrender Verluste. Ich glaube, sie werden verstehen. Ich werde sein Toter, dem vergeben wurde, und nicht zerquetschtes Insekt. Was mir nur fehlt, ist: Wer ist Wer ?«
Schließlich nahm Peter seinen Arm von Zula, die sich ganz aufrichtete und Iwanow direkt ansah. Iwanow seinerseits blickte die beiden – hauptsächlich aber sie – mit interessierter Miene an. Als handelte es sich hier um eine hochformale, akademische Art von Salondiskussion. »Verstehen Sie Frage?«
»Sie wollen wissen, wer Ihnen das angetan hat?«
»Ich würde anderes Verb verwenden, aber ja.«
Ein paar Augenblicke lang saßen sie alle schweigend da. Sie konnten hören, wie unten der Motor eines Fahrzeugs angelassen wurde und Männer über Handy telefonierten.
»Sie wollen die Identität des Trolls wissen. Der Person, die den Virus erzeugt hat«, sagte Peter.
»Ja!«, blaffte Iwanow, leicht gereizt.
»Und wenn wir Ihnen diese Information geben können, sind wir dann … cool?«
»Kuhl?«, fragte Iwanow nach, eindeutig nicht in der Stimmung, mit Peter zu verhandeln – falls man das hier so nennen konnte.
»Ich meine, ist es dann gut? Zwischen Ihnen und uns?«
Tja, irgendwie ein interessanter Moment.
Obwohl die ganze Situation mit einer impliziten Drohung befrachtet war, hatte Iwanow gegen Peter oder Zula keinen Finger gerührt noch angedeutet, dass er das je tun würde. Seine Augenbrauen
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