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Ersehnt

Ersehnt

Titel: Ersehnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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terrorisiert. Bekannt wurde er als der Winterschlächter. Damals wusste ich natürlich nicht, dass er es war. Nur, dass die Eindringlinge blutrünstige Wilde waren, die plünderten, raubten, vergewaltigten und Dutzende Dörfer niederbrannten.

    Und jetzt schlief der Winter-Arsch zwei Zimmer neben meinem! Er arbeitete auf der Farm und deckte den Tisch fürs Abendessen und solche normalen Dinge. Das war echt gruselig. Und natürlich zum Dahinschmelzen. Aber ich hatte so meine Zweifel, ob seine derzeitige »zivilisierte« Seite wirklich echt war oder sich nicht womöglich auflöste wie billiges Make-up im Regen. Und dann würde der Berserker zum Vorschein kommen, von dem ich wusste, dass er irgendwo unter der Fassade tobte.
    Ich füllte das Glas, stellte den Sack vorsichtig zurück auf den Tisch und schraubte den Deckel auf das Gefäß. Ich hatte schon einen ganzen Haufen schnippischer Bemerkungen auf den Lippen und noch vor zwei Monaten hätte ich sie auf ihn losgelassen, wie James Bonds Auto Nägel verschießt. Aber ich versuchte, erwachsen zu werden. Mich zu verändern. So klischeehaft das jetzt klingt und ungeheuer anstrengend ist es zu allem Überfluss auch - noch hatte ich nicht das Weite gesucht. Und solange ich hier war, musste ich mich bemühen.»Ich weiche den Dingen gern aus«, sagte ich daher ehrlich. »Du kannst nicht allem ausweichen. Du kannst nicht mir ausweichen. «
    Er war mir so nah, dass ich durch das Flanellhemd seine Körperwärme spüren konnte. Ich wusste, dass unter dem Hemd seine harte, glatte, gebräunte Haut lag, Haut, die ich berührt und geküsst hatte. Ich verspürte ein fast unbezähmbares Verlangen, mein Gesicht an seine Brust zu pressen und mit den Fingern über die Brandnarbe zu fahren, von der ich wusste, dass er sie hatte. Die Narbe, die perfekt zu der Verbrennung auf meinem Nacken passte. Jene, die ich mehr als vier Jahrhunderte lang versteckt hatte.
    »Das könnte ich, wenn du mich in Ruhe lassen würdest«, erwiderte ich gereizt.
    Einen Moment lang war er still und ich spürte, wie er mich mit seinen goldenen Augen musterte. »Ich werde dich nicht in Ruhe lassen.« Versprechen? Drohung? Keine Ahnung. Stimmen, die sich der Küche näherten, retteten mich davor, mir einen besseren Spruch ausdenken zu müssen.
    Das Haus, River's Edge, war früher ein Versammlungshaus der Quäker gewesen. Im Erdgeschoss gab es ein paar Büros, einen kleinen Arbeitsraum, ein Wohnzimmer, ein großes, schlichtes Esszimmer und diese etwas unzureichende Küche, die anscheinend in den 1930er-Jahren zum letzten Mal renoviert worden war. Bevor ich herkam, hatte ich in einer teuren, sehr angesagten Wohnung in London gelebt, von der aus man einen irren Blick auf Big Ben und die Themse hatte. Ich hatte einen Portier, einen Zimmermädchenservice und eine Catering-Küche direkt im Haus gehabt. Dennoch war mein Leben in River's Edge irgendwie ... besser.
    Wie schon gesagt sind hier alle unsterblich und ein lustiger Haufen noch dazu. Na ja, nicht wirklich. Wenn man bedenkt, dass wir alle hier sind, weil unser Leben irgendwann total aus dem Ruder gelaufen ist. Es gibt übrigens wirklich eine River in River's Edge. Sie ist die älteste Person, die ich je getroffen habe - geboren 718 in Genua, in einer Zeit, in der es dort noch einen eigenen König gab. Selbst unter Unsterblichen ist das - wow. Ihr gehört das Haus. Sie macht das Rehaprogramm mit den Unsterblichen, die mit ihren dunklen Seiten zu kämpfen haben, und sie ist so ziemlich der einzige Mensch auf Erden, dem ich halbwegs vertraue.
    Ich bin übrigens vierhundertneunundfünfzig Jahre alt, auch wenn ich aussehe wie eine Siebzehnjährige (und anscheinend auch ihre Reife besitze). Reyn ist vierhundertsiebzig und sieht aus wie ein heißer Zwanzigjähriger.
    Die Schwingtür wurde aufgestoßen und Anne, eine der Lehrerinnen, Brynne, Schülerin wie ich, und River kamen herein, lachten und redeten und hatten von der Kälte draußen ganz rote Wangen. Sie hatten Einkaufstüten dabei, die sie auf den verschiedenen Arbeitsplatten abstellten. Eigentlich produzieren wir einen Großteil unserer Nahrung selbst, aber einiges kauft River doch bei Pitson's, dem Lebensmittelladen im Ort.
    »Und ich habe sie gefragt, ob das ein Damenbart ist«, sagte Anne und die anderen lachten sich halb tot. »Wenn Blicke töten könnten, hätte sie mich erledigt.« River lehnte sich gegen die Arbeitsplatte und wischte sich

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