Ersehnt
deinen Bruder? NEIN ! Es beunruhigt ihn, wenn du das Haus verlässt. Wie konntest du nur!«, brüllte sie im Takt mit weiteren Gürtelhieben. Wenn die Schläge so schlimm wurden, stieg in mir immer der Wunsch auf, ich wäre das Kind, das tot war. Die Schmerzen waren unerträglich.
Der Schauplatz änderte sich, und meine Mutter stand nicht länger mit wirrem, ängstlichem Gesicht drohend über mir und schlug mich. Stattdessen lag sie mit leblosem Blick in einer Blutlache. Ich fing an zu schreien.
»Schscht, Della, alles okay. Ich bin bei dir. Schscht.« Die Stimme kam von weit weg, aber ich hörte sie. Ich konzentrierte mich auf diese Stimme, und langsam verblassten die Bilder vom Tod meiner Mutter. Das Schluchzen stammte von mir. Das erkannte ich.
»Na schau. Alles in Ordnung, ich bin ja hier«, sagte die Stimme sanft.
Ich schlug die Augen auf, und sobald ich klar sehen konnte, merkte ich, dass es Tripps Stimme war. Seine angstvolle Miene sagte genug. Er wiegte mich in seinen Armen und murmelte beruhigende Worte. Auf das, was er da gerade miterlebt hatte, war er nicht vorbereitet gewesen. Ich konnte die Fragen in seinen Augen sehen.
»Es tut mir leid«, brachte ich krächzend heraus. Mein Hals war vom vielen Schreien ganz rau. Das war er immer, wenn ich auf diese Weise aufwachte. Braden war die Erste gewesen, die so etwas je mit mir erlebt hatte. Meine Psychologin hatte es als Nachtangst bezeichnet. Hatte erklärt, mein Trauma würde während des Schlafs zum Ausdruck kommen, wenn ich nicht auf der Hut war. Ich hatte vieles versucht, aber leider hatte nichts dagegen geholfen. Meine Mutter kam grundsätzlich, wenn ich schlief. Und mit ihr kamen die Erinnerungen.
»Schscht«, sagte Tripp, legte den Finger auf den Mund und schüttelte den Kopf. »Lass es. Ich könnte es nicht ertragen, wenn du dich entschuldigen würdest.«
Also schwieg ich. Ich rutschte von seinem Schoß herunter zurück auf die Bettseite, auf der ich schlief. Tripp rührte sich nicht. Er blieb, wo er war.
»Hast du so was oft?«, fragte er schließlich.
»Ja«, erwiderte ich. Es verging kaum eine Nacht ohne Albträume. Aber normalerweise wachte ich von allein auf, sobald mich die Bilder der Nacht, in der ich meine Mutter gefunden hatte, wieder einholten.
»Und du schlägst dich jede Nacht allein damit rum?«, fragte er.
Ich nickte.
»Scheiße!«, flüsterte er und stand auf. »Della, wieso bist du allein? Du solltest nicht allein sein! Wie zum Teufel hast du das so lange ausgehalten?« Er rieb sich mit dem Handrücken über die Augen und fuhr sich dann frustriert durchs Haar. »Das hatte es echt in sich! Weißt du überhaupt, wie unheimlich das ist? Gott, Della, in solchen Situationen darfst du nicht allein sein!«
Ich zog mir das Betttuch bis zum Kinn hoch und lehnte mich ans Kopfende des Bettes. Na also, Tripp erkannte schon, dass ein gemeinsamer Road Trip doch nicht so lustig und unbeschwert würde, wie er sich das vorgestellt hatte. Das war nur eine Frage der Zeit gewesen.
»Das geht schon. Nur weil jemand bei mir ist, verschwinden die Träume noch lange nicht. Ich kriege sie trotzdem. Morgen früh reise ich ab.«
Tripp schüttelte den Kopf, kam herüber und setzte sich neben mich. »Du machst morgen gar nichts in der Art. Was immer dir da im Kopf rumgehen mag, es ist falsch! Deshalb platzt unser Deal noch lange nicht, Della. Ich war nur nicht auf so was vorbereitet.«
Ich wusste nicht, ob ich ihm glauben konnte, aber ich nickte trotzdem.
»Morgen früh nehme ich dich zum Golfen mit. Dann essen wir zusammen zu Mittag. Es wird Zeit, dass wir einander besser kennenlernen.«
I ch hatte kein Auge zugemacht. Hatte stattdessen die ganze Nacht auf dem Balkon gesessen, auf die Wellen gestarrt und mir verschiedene Dinge bewusst gemacht. Zum einen sah ich endlich ein, dass ich nie glücklich werden würde, wenn ich Angelina heiratete, und sie genauso wenig. Außerdem hatte ich begriffen, dass ich meinen Traum aufgeben musste, eines Tages den Kerrington Club zu übernehmen. Wenn ich dem Wunsch meines Vaters, eine Greystone zu heiraten, nicht nachkam, würde er mir das nie verzeihen. Della hatte alles verändert. Plötzlich war mir das alles scheißegal. Ich wollte sie. Vielleicht würde es ja nicht für immer sein, aber die Zeit, die ich mit ihr haben konnte, wollte ich nutzen. Ich konnte nicht immerzu an sie denken und mich mit dem Gedanken quälen, dass ich sie nicht haben konnte.
Meine Zukunftspläne würden auf den Kopf gestellt werden,
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