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Erst mal bis zur nächsten Kuh...

Erst mal bis zur nächsten Kuh...

Titel: Erst mal bis zur nächsten Kuh... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Barth
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Für mich ist es diesmal der
Abschied vom Camino“.
    Ein Berliner erzählt ungefragt gleich
seine ganze Lebensgeschichte. Es sprudelt nur so aus ihm heraus. Als er am
Abend in der Pilgerherberge mit seiner Frau in Deutschland telefoniert und ihm
der Lärmpegel rundum zu laut ist, brüllt er so laut „Ruhe!“ in den Saal, dass
alle zusammenzucken. Ruhig wird es dadurch freilich nicht. Eine Französin
schaut mich vielsagend an: „Oh, les Allemands “, will
sie mir wohl sagen. Sie ahnt nicht, dass ich auch ein Deutscher bin.
    Ein dicker Ungar bricht jeden Morgen
schon um fünf Uhr auf. Nachmittags liegt er dann schon um 15 Uhr in der
nächsten Pilgerherberge und schnarcht wie ein wildes Tier. „Ich will nicht in
der Nähe des Ungarn schlafen“, sagt Ida, die Holländerin, die ganz allein schon
seit Nijmegen läuft. „Der schnarcht Tag und Nacht, und ich kann kein Auge
zutun!“ Josef ist auch Ungar. Er schnarcht nicht, aber er verbindet unentwegt
seine Füße. „ What about your feet ?“, frage ich ihn, als
ich ihn wieder mal vor einer Bar sitzen sehe. „I use it “, sagt er nur: „Ich gebrauche sie.“
    Claude, ein Franzose, ist sehr
kontaktfreudig. Überall knüpft er sofort Verbindungen, spricht mit jedem, als
sei er schon lange mit einem bekannt. Einen ganzen Tag sind wir gemeinsam
unterwegs, bringen uns gegenseitig deutsche und französische Begriffe bei.
    Claude wandert von Le Puy bis Conques,
weil er grad eine Woche Zeit hat. Mit dem Glauben hat seine Wanderung nichts zu
tun. Seine Kinder sind getauft, sie gehen auch zur Kirche, freilich „ irregulier “. So viel Französisch verstehe ich, um zu
begreifen, wie das gemeint ist. Eine Handvoll Franzosen aus Paris versteht den
Weg als Anleitung zum Gebet. Sie machen an jedem Wegkreuz kurz Halt, bleiben
schweigend davor stehen und besinnen sich, ehe sie wieder laut und fröhlich
weiterreden und weiterwandern.
    Ein junger Belgier wandert allein. Er
hat nur seine Gitarre dabei, ein paar Kleinigkeiten und etwas Wäsche in seiner
Gitarrentasche. „Ich hab dich noch nie Gitarre spielen gesehen“, sage ich zu ihm.
Er antwortet: „Ich spiele nur, wenn ich ganz allein bin. Ich brauche die
Gitarre, um mich auszudrücken. Sonst brauche ich nichts.“ Ein Däne leiht sich
mein Blatt aus, auf dem die Steigungen des Jakobsweges eingezeichnet sind, und
schreibt sie sich in sein Notizbuch. „You must not go this way with
your head“, sagt Ida zu ihm , „but with your heart !“ Du sollst diesen Weg nicht mit dem
Kopf, sondern mit dem Herzen gehen. „... and also with my feet “, brummt der Däne,
auch mit den Füßen, ja, damit natürlich vor allen Dingen! Aus Versehen kippt
Ida ein ganzes Glas Rotwein auf die Höhenkarte, aus Versehen natürlich, aber
zugleich wie zur Bekräftigung ihrer Meinung. In der Kirche in Molinaseca setzt
sich ein Franzose ans Harmonium und spielt herzerweichend einen Choral. Am Ende
singt er gar: „Ave Maria...“ Ich staune, welche Gaben die Jakobspilger mit sich
herumtragen außer ihrem Rucksack, ohne dass es gewöhnlich ein anderer wissen
kann.
     
    Zwei junge Mädchen aus der Eifel
wandern ohne Gepäck. „Wir haben zwei Wochen Jakobsweg gebucht. Unser Gepäck
wird von Hotel zu Hotel gefahren, wir haben nur einen kleinen Rucksack für
unterwegs mit einem Picknick und einer Regenjacke“, sagen sie. „Wir wissen
schon, wo wir abends schlafen werden. Keine Suche, kein Stress, die reine
Erholung.“ „Ich reserviere nie“, sagt Claudia. „Das ist doch ein Widerspruch:
auf dem Pilgerweg sein und dann sich total absichern. Irgendetwas findet sich
immer.“ „Vierzig Kilometer seid ihr heute gelaufen?“, fragen zwei Saarländer in
der Pilgerherberge in Trinidad de Arre. Sie sind sehr freundlich und laden uns
zum Abendessen ein, das sie gekocht haben: Nudeln und gedünstete Gurken im
Topf. „Viel zu viel für uns zwei!“ Sie erzählen, dass sie nach 15 Kilometern
schon fix und fertig seien und holen sich erst mal ein Bier aus dem
Kühlschrank, dann noch eins und noch eins. Aber da schlafen die Jakobspilger
längst.

Rotwein und Salve Regina
     
    Eines der ältesten Klöster Navarras ist
das Kloster Irache am Fuß des mächtigen Berges Montejurra .
Mein kleiner Reiseführer schwärmt vom Renaissancekreuzgang, und ich möchte das
Kloster gerne sehen. Das Problem: Zwischen 13 und 17 Uhr ist es wie viele
Kirchen, Klöster und Museen in Spanien geschlossen. Für Fußwanderer bedeutet
dies: Entweder ist man morgens schon da oder man

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