Erst mal bis zur nächsten Kuh...
Roncesvalles. Zwar ist die
Einsamkeit vorbei und die langen menschenleeren Wegstrecken in Frankreich, aber
auch in Spanien muss man nicht in Kolonnen gehen, wenn man nicht will. Die
Markierung ist jetzt überdeutlich. Verlaufen kann sich jetzt endgültig nur, wer
es absolut will. Große Wegweiser zeigen, wo es lang geht.
Wir sind im Baskenland. Die schmucken
Dörfer sind blankgeputzt. Schöne alte romanische Brücken schwingen sich über
die kleinen Flüsse, man kann sie nicht alle fotografieren. Und die Menschen
sind freundlich, auch hier. Nach Pamplona: riesige Getreidefelder und brütende
Hitze beim Aufstieg zur Passhöhe „Puerto del Perdön “
mit vierzig gigantischen Windrädern, die dort zur Stromerzeugung aufgestellt
sind. Irgendwo finden wir eine schattige Bank, Claudia und ich. „Es ist
Sonntag“, sagt Claudia. Ich frage sie: „Kennst du die Losungen?“ Nein, kennt
sie nicht. Ich greife in meinen Rucksack und hole das blaue Büchlein heraus mit
den Losungen der Herrnhuter Brüdergemeine, ein Bibelwort für jeden Tag. Für
diesen Tag steht das Wort zu lesen:
„Kommt
her, höret zu alle, die ihr Gott fürchtet;
ich
will erzählen, was er an mir getan hat!“
Dazu ein Wort von Traugott Hahn:
„Es ist
ein entscheidender Unterschied, ob ich meine, dass blindes Schicksal,
unberechenbare Zufälle meinen Lebensweg formen, oder ob mir im Glauben die
Augen aufgegangen sind: Gott lenkt alles, mein Weg ist schließlich immer SEIN
Weg.“
Wie sehen wir unseren Weg? Woher und
wohin? Über ein Losungswort kommen wir ins Gespräch. Natürlich ist die Losung
nicht an jedem Tag in gleicher Weise ansprechend. Es ist ein Wort, das uns
zufällt. Aber ein Gedankenanstoß ist es immer. „Was steht heute im
Losungsbuch?“, wird mich Claudia noch ein paar Mal fragen in den kommenden
Tagen auf dem gemeinsamen Jakobsweg. Ich nehme mir vor, ihr zu Weihnachten das
Losungsbüchlein für’s kommende Jahr zu schicken.
Die Erfahrung der Stille von Eunate
Ein „absolutes Muss auf dem Jakobsweg“
nennt mein kleiner Reiseführer die Kirche von Eunate und er empfiehlt einen
Umweg von 3 Kilometern. Umwege überlegt sich, wer zu Fuß unterwegs ist. Aber
Eunate habe ich schon auf Bildern gesehen und scheint den Umweg zu
rechtfertigen.
Es ist früh am Morgen. In der Herberge
gibt es Frühstück erst um 8 Uhr, aber solange will ich nicht warten. Also ohne
Frühstück nach Eunate. Das kleine Kirchlein liegt in der Morgensonne zwischen
schon abgeernteten Getreidefeldern, ein achteckiger Rundbau mit einem grazilen
Säulenumgang. An der Eingangstür steht in mehreren Sprachen ein kleiner Text.
Viele Menschen aus vielen Ländern kommen in diese kleine Kirche, lese ich da,
sie sind auf der Suche. Hier in dieser Kirche können sie finden - Frieden mit
sich selbst, Frieden mit Gott: „In dieser tausendjährigen Kirche sind Sie kein
Fremder, denn Gott wartet hier mit seiner väterlichen Liebe auf Sie.“
Licht fällt von Osten durch ein
schmales romanisches Fenster, leise Flötenmusik erfüllt unaufdringlich den
Raum, einen Ort, an dem Gott in seiner väterlichen Liebe auf uns wartet. Was
für eine atemberaubende Vorstellung: ich werde erwartet. Man kann nicht anders,
als sich still hinzusetzen und zu schweigen.
Every day the sa ,e theatre in Ciraqui
Beim Wäschewaschen in der Auberge von Cirauqui lerne ich Antolin kennen. Antolin ist Baske. Er spricht kein Wort
Englisch oder Französisch, von Deutsch ganz zu schweigen. Dafür kann er
natürlich Spanisch, Baskisch, Katalan , aber das sind
meine Schwachstellen. Dennoch haben wir keine Verständigungsprobleme, sondern
verstehen uns sofort. „Jordi“ bin ich für Antolin , so
übersetzt er meinen Namen in Katalan . Er wandert mit
seiner Frau, aber sie ist müde und schläft gerade. Typisch, meint Antolin , erzählt von seinen Kindern, seiner Arbeit, seiner Heimat.
Die Auberge ist gegenüber der Dorfkirche mit einem wunderschönen romanischen Portal. Leider
ist die Kirche abgeschlossen. „Kann man nicht hineinkommen?“, frage ich die
Besitzerin der Auberge . „Jeden Abend um sieben Uhr
ist Messe, da ist die Kirche offen. Die Messe ist kurz, sie dauert nur 20
Minuten.“ Und tatsächlich, so ist es. Der Pfarrer peitscht die Liturgie durch,
die Gemeinde, vor allem ältere Frauen und wir, eine Handvoll Jakobspilger, hat
kaum Gelegenheit, die liturgischen Antworten zu geben. Alles geht rasend
schnell. Einsetzung, Friedensgruß, Austeilung - und Adiós! Am Ende
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