Erst mal bis zur nächsten Kuh...
schaue ich
auf die Uhr, tatsächlich, es ist 20 Minuten nach sieben!
Antolin ist auch in der Messe mit seiner Frau
Maria Angeles. Er will ein Foto vor dem Altar von uns und bringt seine Gefühle
auf den Punkt: Wir sind „differente“, verschiedene Länder, verschiedene
Sprachen, aber „el corazón “, unser Herz, hat einen
Weg zueinander gefunden. Draußen vor der Kirche steht die Wirtin. „Tatsächlich,
Sie haben recht gehabt, 20 minutos ...“ „ Every day the same theatre “, sagt sie
achselzuckend. Warum sollte sie da hin gehen? Ich verstehe, was sie meint.
Was treibt dich?
Wie kommt der Apostel Jakobus nach
Spanien, noch dazu nach Galicien am Rande der damals bewohnten Welt, abseits
aller Wege, nahe dem Ozean?
Jakobus soll vor seinem Märtyrertod im
Jahre 44 nach Christus in Spanien das Evangelium verkündigt haben und dort auch
begraben worden sein. Im Jahre 822, so erzählt die fromme Legende, sieht der
Einsiedler Pelagius auf einem alten Gräberfeld ein Leuchten und Funkeln und
entdeckt auf diesem „Sternenfeld“ ( campus stellae - Compostella)“ das Grab des Apostels Jakobus.
Damals, im 9. Jahrhundert waren die Mauren die Herren in Spanien, der Islam hatte
in den zurückliegenden Jahrhunderten die iberische Halbinsel erobert.
Das Apostelgrab hatte unter diesen
Umständen eine eminent politische Bedeutung. Nach der Überlieferung erschien im
Jahre 844 Santiago - der Apostel Jakobus - den Kämpfern in der Schlacht von Clavijo in der Nähe von Logroño und führte das christliche
Heer zum Sieg über die Mauren. Der „ Reconquista “, der
Wiedereroberung des von den Mauren beherrschten Spanien, gab dieses Ereignis
einen gewaltigen Impuls und ebenso dem Pilgerzug nach Santiago de Compostella.
Die zahlreichen Pilger späterer Jahrhunderte wussten davon sicher nichts mehr.
Sie nahmen den Weg auf sich in der Hoffnung auf Heilung an Leib oder Seele,
eines Gelübdes wegen oder als Buße für begangene Sünden. Auch das ist lange her.
Was treibt die Menschen heute, auf den
Jakobsweg zu gehen? Hinter Logroño steht auf einer Betonwand ein Text mit
tausend Fragen:
„Staub,
Schlamm, Sonne und Regen,
das ist
der Weg nach Santiago,
tausende
von Pilgern
und
mehr als tausend Jahre.
Wer
ruft dich, Pilger?
Welch
geheime Macht lockt dich an?
Weder
ist es der Sternenhimmel
noch
sind es die großen Kathedralen,
weder
die Tapferkeit Navarras
noch
der Rioja-Wein ,
nicht
die Meeresfrüchte Galiciens
und
auch nicht die Felder Kastiliens.
Pilger,
wer ruft dich?
Welch
geheime Macht lockt dich an?
Weder
sind es die Leute unterwegs
noch
sind es die ländlichen Traditionen,
weder
Kultur und Geschichte
noch
der Hahn Santo Domingos,
nicht
der Palast von Gaudí
und
auch nicht das Schloss Ponferradas.
All’
dies sehe ich im Vorbeigehen,
und
dies zu sehen ist Genuss,
doch
die Stimme, die mich ruft,
fühle
ich viel tiefer in mir.
Die
Kraft, die mich vorantreibt,
die
Macht, die mich anlockt,
auch
ich kann sie mir nicht erklären.
Dies
kann allein ER dort oben! (E. G.B.)
Jemand hatte darunter geschrieben:
„Sicher, dass es ein ER ist?“ Daneben wieder von anderer Hand: „Wer wird denn
so kleinlich sein?“ Bleibt die Frage, die hinter dem Text an der Betonwand
steht: Was treibt die Menschen an, diesen langen Weg zu gehen? Tausend
Menschen, tausend Antworten.
Begegnungen
Rolf ist im Ruhestand, ganz frisch. Er
will sein Leben ordnen. In seinem Rucksack hat er einen großen, dicken,
schweren, laut tickenden Wecker, den er jeden Abend aufzieht, damit er am
anderen Morgen um sechs nicht verschläft.
Serge ist Franzose: „Je suis Français!“ Er schleppt Plastiktüten und Säckchen mit
sich herum. In jeder Herberge fängt er an zu kochen. Sogar einen kleinen
Gaskocher hat er dabei, damit er sich unterwegs einen Kaffee brühen kann. Seine
wichtigste Frage auf dem Weg heißt: „ Où est la cuisine ?“ Wo ist die
Küche?
Ein junger Mann aus Bamberg rauscht an
mir vorbei. „Ich will bis Ende Juli in Santiago sein“, sagt er, „das heißt,
dass ich jeden Tag mindestens vierzig Kilometer schaffen muss, buen camino!“ Und schon ist er weg. Peter aus der Schweiz
geht immer nur drei Wochen. „Mehr kannst du doch gar nicht aufnehmen! Die
vielen Kirchen, die Landschaft, Städte, Menschen. Ich muss meine Eindrücke dann
erst verarbeiten“ „So ein Unsinn“, sagt ein bärtiger Kölner. „Ich laufe den Weg
zum vierten Mal! Meine Frau sitzt am Schliersee!
Weitere Kostenlose Bücher