1850 - Vollmond-Grauen
Das war auch an diesem Abend so. Mit dem Auto war sie bis zu einem bestimmten Punkt gefahren und hatte den Wagen dort abgestellt. Es war ein Waldparkplatz. Tagsüber standen hier zahlreiche Wagen, deren Fahrer sich zu einem Spaziergang entschlossen hatten. Doch am Abend und in der Dunkelheit sahen die Dinge anders aus. Da war die Gegend am Wald recht leer, und auf dem Parkplatz stand kein Wagen mehr.
Nur der Mond zeigte sich am klaren und wolkenlosen Himmel.
Ellen Peters kannte den Weg. Er führte nicht in den Wald hinein, sondern daran vorbei. Außerdem wäre es im Wald auch zu dunkel gewesen. Man musste immer mit irgendwelchen Stolperfallen rechnen. Gerade in den letzten Nächten hatte es ziemlich gestürmt. Da waren einige Bäume geknickt oder hatten Äste und Zweige verloren.
Der Mond blieb und die Unruhe in Ellen Peters ebenfalls. Sie wusste nicht, woher sie kam. Sie hatte zudem das Gefühl, verfolgt zu werden, dass ein Stalker hinter ihr her war und sie beobachtete.
Einen Beweis dafür gab es nicht. Es war einfach nur das Gefühl, das sich bei Vollmond immer verstärkt einstellte, und es war sogar so weit gekommen, dass sich Ellen Peters bedroht fühlte, wenn sie bei Vollmond lief.
Jemand war da.
Etwas war da.
Sie wusste es genau, und sie hatte auch die entsprechenden Konsequenzen gezogen. Sie lief nicht mehr ohne Schutz. Sie hatte eine Bekannte gebeten, etwas für sie zu tun. Dagmar Hansen war eine frühere Arbeitskollegin, und die hatte sofort zugestimmt.
Auch an diesem Abend stand sie wieder bereit. Sie hatte nur nicht mitlaufen können und wollte an einem bestimmten Punkt auf Ellen Peters warten. Es war das Ende der Strecke. Von dort würden die beiden Frauen in einem Auto bis an den Ausgangspunkt des Laufs zurückfahren, damit Ellen wieder in ihr Auto steigen konnte.
Das war alles gut durchdacht, und Ellen glaubte fest daran, dass es auch klappen würde. Zudem hoffte sie, die andere Seite in Schach halten zu können. Die Seite, von der sie nicht wusste, wie sie aussah, die aber trotzdem da war und sie verfolgte.
Beim Ausatmen sah sie eine helle Wolke vor ihrem Gesicht. Sie spürte den Zug an den Händen und musste die Doppelleine schon sehr hart festhalten, um die Hunde bei sich zu behalten. So war es immer, ob nun der volle Mond schien oder nicht. Daran hatte sich Ellen auch gewöhnt.
Links von ihr lag das freie Feld. Es war längst abgeerntet worden. Rechts wuchs der Wald wie eine dunkle Mauer in die Höhe, und ungefähr dort, wo das eine an das andere grenzte, stand das runde Auge am Himmel und starrte nach unten.
Der Mond, der Trabant. Derjenige, um den sich viele Geschichten rankten, der auch bei Ellen Peters jetzt ein leicht bedrückendes Gefühl hinterließ.
Sie mochte ihn plötzlich nicht. Sie fürchtete sich vor ihm. Sie dachte daran, dass er etwas Böses gegen sie im Schilde führte. Er war nicht der Stalker, aber er konnte mit ihm zu tun haben.
Ellen ging weiter. Die Huskys zerrten jetzt immer stärker an ihrer Leine, als könnten sie es nicht erwarten, so rasch wie möglich an das Ziel zu gelangen.
Die Frau hatte Mühe, mit den Hunden Schritt zu halten. Sie war froh, die Laufschuhe mit den griffigen Sohlen zu tragen, so war der Halt am Boden recht gut.
Sie schaute immer wieder zum Himmel. Als wäre es ein Zwang, den Blick auf den Mond zu richten. Dabei lief sie weiter und achtete darauf, nicht zu stolpern.
Die Hunde waren wild, das kannte sie. Ellen wusste auch, dass die Strecke knapp drei Kilometer lang war. Zählte sie den Rückweg mit, dann kamen fast sechs Kilometer zusammen. Erst einmal musste sie die ersten drei hinter sich haben. Am Ziel wartete ihre Freundin, und heute würden sie mit deren Wagen zurückfahren.
An diesem Abend benahmen sich die Hunde besonders schlimm. Sie zerrten nahezu wütend an ihren Leinen. Manchmal heulten sie auch auf, dann machten sie verrückte Sprünge, heulten erneut und stoppten plötzlich mitten aus der hektischen Bewegung heraus.
Damit hatte Ellen Peters nicht gerechnet. Sie hielt nicht so schnell an, sie stolperte vor und wäre fast über die beiden Körper gestolpert. Die Huskys benahmen sich seltsam. Sie zerrten an ihren Leinen, dann warfen sie sich auf den Rücken und jaulten den Mond an, als wäre er ein besonderer Freund von ihnen.
Ellen Peters war irritiert. Diese Reaktion hatte sie bei ihnen noch nie erlebt.
Sie bewegten sich zuckend und hielten die Köpfe so gerichtet, dass sie zum Himmel und damit auf den Vollmond
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