Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern (German Edition)
Großmutter. Sie hatte die Transportnummer 481.
Ein Brief aus Prag erreicht mich Anfang Februar 2011: »Zu Ihrem
Gesuch betreffend Carola Crott (geb. 14.3.1887) teilt das Nationalarchiv in
Prag mit, dass sie im Ghetto Theresienstadt unter diesen Adressen gelebt hat:
Parkstraße 12/38, ab dem 23.2.1945 Parkstraße 12/33 und ab dem 24.4.1945 Seestraße
10.«
Odda
15. Februar 1945
Lillian wacht auf. Sie muss einige Sekunden nachdenken,
bevor sie weiß, wo sie ist. Sie ist in Odda. Bei Liv und Einar. Von irgendwo im
Haus vernimmt sie die Stimme ihrer Cousine. Liv telefoniert.
Abbildung 27
»Lillian ist ein nettes Mädchen«, hört sie Liv sagen. »Wir
werden ihr helfen, wo wir können. Sie tut mir leid. Du weißt ja von Annie in
Harstad, dass sie einen Freund hat, der deutscher Soldat ist. Wir dürfen es
hier niemandem erzählen. Man hört, dass alle Mädchen, die mit Deutschen
zusammen sind, bestraft werden sollen, wenn der Krieg vorüber ist. Lillian
sagt, dass sie auf ihren Freund warten will, was auch immer geschieht.«
Lillian steht auf und geht leise ins Badezimmer. Liv soll nicht
wissen, dass sie etwas von dem Gespräch mitbekommen hat.
Liv und Einar haben sie herzlich aufgenommen. Die beiden sind seit
zwei Jahren verheiratet und haben noch keine Kinder. Einar arbeitet im
Rationierungsamt und verlässt jeden Morgen um 8 Uhr das Haus. Eigentlich ist er
Lehrer, hat aber den Dienst quittiert, nachdem die Deutschen und die Nasjonal
Samling die Macht in Norwegen übernommen haben. Das, was er jetzt den Kindern
beibringen soll, will er ihnen nicht beibringen.
Nach dem Frühstück hilft Lillian ihrer Cousine beim Abwasch. So wie
früher, in den gemeinsamen Sommerferien auf dem Hof des Onkels in Kilbotn bei
Harstad. Für Lillian war Liv schon damals ein ganz besonderer Mensch. Und sie
ist es geblieben.
Im Schlafzimmer steht eine Staffelei mit einem halbfertigen
Aquarell. »Hier verschwinde ich, sooft es nur geht. Das ist meine liebste
Beschäftigung«, sagt Liv. »Du weißt ja, dass meine schwedische Großmutter
Malerin gewesen ist. Vielleicht habe ich ja ein bisschen Talent von ihr
geerbt.«
Außerdem leitet Liv eine Gymnastikschule und – zusammen mit Einar –
auch noch eine Pfadfindergruppe. »Aber zurzeit müssen wir uns zurückhalten. Die
Deutschen sehen die Boy Scouts nicht gern. Ist schließlich eine englische Erfindung.
Aber wir treffen uns heimlich.«
Lillian hat sich in dem Zimmer, das für die nächste Zeit das ihre
sein wird, schon ein wenig eingerichtet. In der Schublade des Nachttischs liegt
ihr Tagebuch und das Bündel mit Helmuts Briefen. Bevor sie das Foto, das Helmut
mit einem hellen Anzug zeigt, auf die Kommode stellt, küsst sie es. Jetzt ist
er über tausend Kilometer von ihr entfernt! Daneben stellt sie die Bilder von
ihren Eltern und Geschwistern auf. Sie lässt sich in den Sessel fallen. Es wird
sich alles fügen, da ist sie sich in diesem Moment ganz sicher. Hier ist sie
auf jeden Fall willkommen, auch wenn sie einen deutschen Freund hat.
Am nächsten Tag treffen sie beim Einkaufen eine Bekannte von
Liv. »Ich hoffe, dass Sie sich wohlfühlen bei uns in Vestlandet«, sagt sie zu
Lillian.
»Das war Frau Irgens, die Vorsitzende vom Roten Kreuz in Odda«,
erklärt ihr Liv später. »Ihr Mann ist im Konzentrationslager Sachsenhausen als
politischer Gefangener. Die Gestapo hat ihn vor zwei Jahren abgeholt. Der Sohn
ist nach der Verhaftung nach England geflohen. Jetzt ist Frau Irgens ganz
allein.«
Abends gehen sie zu Einars Eltern. Die Luft ist feucht und kalt, der
Boden von einer Schneedecke überzogen. Einars Mutter steht in der Haustür und
nimmt sie in Empfang. »Willkommen, Lillian, heute Abend wird es in unserer
Familie für dich eine kleine Feier geben.« Einars Mutter ist in der Nähe des
Hardanger Fjords aufgewachsen. Sie spricht einen ganz eigenen Dialekt, den
Lillian zunächst nur schwer versteht, aber sie mag die Frau mit dem
Mittelscheitel und dem Haarknoten auf Anhieb. Mor Eitrem hat ein warmes Lachen,
legt ihren Arm um Lillian und drückt sie fest an sich.
Bei Tisch wollen alle von Lillian wissen, wie ihre Reise war. Sie
erzählt von der Fahrt mit der Lofoten , der Reise danach mit dem Zug von
Trondheim nach Oslo, dann nach Odda und erwähnt auch das fingierte Telegramm,
das dazu verholfen hat, von der Kommandantur wegzukommen.
»Die verdammten Deutschen! Unser ganzes Land steckt wie in einem
Schraubstock fest«, kommt es von Einars Bruder Tormod.
»Dass
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