Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern (German Edition)
russische Armee kommt, wird sie nicht gnädig mit
denen umgehen, die mit den Deutschen Umgang hatten und für die Wehrmacht
gearbeitet haben, freiwillig oder nicht.«
Frau Knudsen fragt, wie sich Lillian denn die Zukunft vorstellt.
»Ich weiß es nicht, ich weiß nicht einmal, wann wir uns wiedersehen werden,
aber irgendwann wird ja auch dieser Krieg zu Ende sein. Vielleicht gehe ich
dann mit ihm nach Deutschland.«
Frau Knudsen gießt noch einmal Kaffee nach. »Du nimmst für diesen
Mann viel auf dich, Lillian. Glaubst du, dass du mit ihm in Deutschland eine
Zukunft haben wirst? Denk daran, wie schrecklich es in Deutschland sein soll.
Da gibt es fast nur noch Ruinen. Und dann der Hass gegen dieses Volk. Keiner mag
die Deutschen. Lillian, es gibt doch so viele nette norwegische junge Männer.
Du solltest es dir gut überlegen, ob du Norwegen wirklich verlassen willst. Was
sagen denn deine Eltern überhaupt dazu?«
»Es ist für mich eine schwierige Zeit gewesen, mein Vater ist sehr
dagegen, dass ich wegfahre, und er hat in der letzten Zeit kaum mit mir
gesprochen.« Es tut Lillian gut, mit Frau Knudsen zu sprechen, allein schon
deshalb, weil sie ihr keine Vorwürfe macht.
Nach einer unruhigen Reise kommt das Schiff am frühen Morgen des 9. Februar in Svolvær an. Lillian bekommt jetzt endlich das reservierte Bett
zugewiesen. Sie teilt die Kabine mit einer jungen Frau, die sich als Helen
vorstellt und Krankenschwester ist. Als das Schiff am Abend wieder losfährt, liegt
Lillian in der oberen Koje. Sie fühlt sich Helmut so nah und ist in diesem
Moment von grenzenloser Zuversicht erfüllt. Sie lächelt bei dem Gedanken an das
Gesicht, das er wohl macht, wenn er am Sonntag ihren Gruß über den
Soldatensender von Radio Tromsø hören wird. 100 Kronen hat sie dafür bezahlt,
damit ihr gemeinsames Lied gespielt wird.
»Hoffentlich kommen wir heil über den Vestfjord!« Helens Worte
unterbrechen ihre Gedanken und holen sie zurück in die Realität. Seit einer
halben Stunde sind sie wieder auf offener See. Dass die Hurtigruten -Schiffe
auch Wehrmachtsmaterial und Angehörige der Wehrmacht transportieren, wissen die
Alliierten, und deshalb ist die Gefahr groß, auf Minen zu treffen, von Torpedos
beschossen zu werden oder auch aus der Luft angegriffen zu werden.
Helen reicht ihr ein Stück Schokolade. »Die Tafel habe ich von einem
Kaufmann in Tromsø bekommen, weil ich seine Mutter drei Monate in einem
Krankenhaus gepflegt habe. Jetzt ist sie verstorben. Hätten wir die richtige
Medizin gehabt, wäre sie vielleicht noch am Leben. Sie ist nur 60 Jahre alt
geworden. Sie und ihr Mann hatten lange Zeit ein Geschäft, das jetzt vom Sohn
weitergeführt wird. Der Mann sitzt in Grini 69 ein, weil die Deutschen in
seinem Keller ein altes Radio gefunden hatten. Er weiß wahrscheinlich noch
nicht, dass seine Frau tot ist. Ist das nicht furchtbar!« Sie setzt sich auf
ihr Bett. »Ich bin so froh, dass ich nun erst einmal für drei Wochen zu meinen
Eltern fahren kann.«
Mit einem Mal merken sie, dass die Maschinen nicht mehr laufen.
Schwester Helen öffnet die Kabinentür. Man hört Stimmen, ängstliche Stimmen, zu
verstehen ist aber nichts. Ein Schiffsoffizier geht durch den Gang und ruft:
»Bewahren Sie Ruhe! Wir müssen zurück nach Svolvær! U-Boot-Alarm!« Er eilt zu
den anderen Korridoren und wiederholt die Meldung. An Schlaf ist nicht mehr zu
denken.
Auch in der Kabine von Lillian und Schwester Helen nicht. »Ich habe
eine Flasche Cognac, eigentlich ein Geschenk für meinen Vater«, sagt die
Schwester, »aber nach diesem Schreck gönnen wir uns ein Glas.« Sie öffnet ihren
Koffer und zieht eine Flasche heraus, die in einen Skipullover gewickelt ist.
»Wir nehmen die Zahnputzgläser.« Vorsichtig schenkt sie ein. »Skål, liebe
Reisegefährtin, es wird schon gut gehen.«
Ihre ruhige Art tut Lillian gut. Dann hören sie, dass die Maschinen
wieder arbeiten. Das Schiff fährt zurück nach Svolvær. Erst einen Tag später,
am Sonntag, dem 11. Februar, wird sich die Lofoten wieder
Richtung Süden wagen.
An diesem Sonntagabend sitzt Helmut in Harstad vor dem Radio.
Als der Gruß von Lillian für ihn durchgegeben und das Lied »Nach jedem Abschied
gibt’s ein Wiedersehen« gespielt wird, küsst er den Ring, der jetzt an seinem
Finger steckt.
Die halbe Portion ist nicht mehr in Zeitz
Februar 1945
13. Februar
Carola
Crott, Zeitz, an Heinz Crott, Wuppertal:
Mein lieber Heinz, morgen früh gegen 6 Uhr müssen
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