Erzähl mir von morgen
Eingangshalle hinauf in den ersten Stock, in de m die Schlafzimmer der Familie lagen. Ich wusste, dass Nates ehemaliges Kinderzimmer direkt am Ende des langen Flurs lag und es kribbelte in meinen Fingern zu sehen, ob es sich seit damals verändert hatte. Als ich es das letzte Mal gesehen hatte, war Nate kurz zuvor in seine Studentenwohnung in der Stadt gezogen. Er hatte einige Möbel mitgenommen, doch das große Bett in dunklem Holz und der Kleiderschrank im gleichen Holz waren geblieben. Dunkelblaue Vorhänge passten harmonisch zu der weißen Wandfarbe und gaben dem Zimmer ein maritimes Flair. Ich konnte mir vorstellen, dass Charlotte das Zimmer in seiner ursprünglichen Eigenart bestehen ließ und nur einige Accessoires, wie Muscheln oder Bilder hinzugefügt hatte.
Jedes der vier Mc’Cormick Kinder hatte sein eigenes Reich gehabt. Sam und ich hatten uns damals ein sehr kleines Zimmer in unserer heruntergekommenen Zwei-Zimmer-Wohnung teilen müssen. Bei Nates Familie war alles ein bisschen anders, schöner, größer und liebevoller. Frank, Nates Vater, arbeitete als Richter und verdiente sehr gut, so dass sich Charlotte um die Kinder kümmern konnte. Sie zog sie liebevoll und verständnisvoll auf. Es schien mir, als wäre sie niemals müde gewesen und hatte immer ein offenes Ohr für ihre Familie gehabt. Sie war der Fels in der Brandung, der diese Familie zusammenhielt.
Nach und nach waren die se – erwachsen geworden – ausgezogen und nun lebten nur noch Charlotte und Frank in diesem großen Haus, doch ich wusste, dass zu den vielen Familienfeiern eine Menge Schlafzimmer benötigt wurden.
Nates ältester Bruder Caleb wohnte mit seiner Frau Johanna und den eigenen Kindern, Kay, Jonathan und Sophia, in New Jersey. Wenn sie zu Besuch kamen, blieben sie meist länger und schon waren zwei der vier sonst leeren Schlafzimmer belegt.
Nates anderer Bruder George besuchte die Familie seltener, da er mit seiner Verlobten Rebecca an der Westküste lebte, doch wann immer große Familienfeiern anstanden, kamen auch sie.
Ann wohnte mit ihrem Mann Trevor und den beiden Mädchen, Chloe und Rachel, in einem Vorort von Boston. Sie besuchten ihre Großeltern so oft es ging und ich wusste, dass Charlo tte es genoss, ihre Enkel um sich herum zu haben.
Ich wünschte, sie könnte für Celia auch eine Grandma werden, denn wenn ich andere Mütter im Kindergarten oder auf dem Spielplatz traf, wurde ich ein wenig traurig darüber, dass ich ihr so etwas bisher nicht bieten konnte.
Nachdem mein Vater uns verlassen hatte, war meine Mutter früh gestorben. Das lag sicher größtenteils an ihrem Alkoholkonsum, mit dem sie sich über den Verlust ihres zweiten Mannes hinwegtröstete. Sams Vater war bereits kurz vor seiner Geburt verschwunden. Wir hatten ihn niemals zu Gesicht bekommen, doch ich wusste, dass er schon immer darunter gelitten hatte, seinen Vater nicht zu kennen.
Ich wollte, trotz allem, nicht böse von meiner Mutter denken, doch ich war froh, dass Celia keine anstatt eine alkoholabhängige Großmutter hatte. Wir waren eine spezielle Familie, nur sie und ich und bisher hatte es immer gereicht.
Ich blieb auf dem obersten Treppenabsatz stehen. Meine Luft war aus meinen Lungen gewichen und ich japste nach Atem. Charlotte sah mich fragend an, doch ich lächelte nur entschuldigend und setzte vorsichtig einen Schritt vor den anderen, um ihr zu meinem Gästeschlafzimmer zu folgen, das direkt neben der großen Treppe auf der linken Flurseite lag.
Als sie die Tür öffnete und ich das große, sehr bequem wirkende Bett sah, konnte ich ein leichtes Seufzen nicht unterdrücken. Ich setzte mich vorsichtig auf die Bettkante und verschnaufte kurz. Das Zimmer war in hellen Gelbtönen eingerichtet und lud mich freundlich ein. Die weißen Möbel harmonierten perfekt zu den hellgelben Wänden und den eleganten Vorhängen aus hellem Stoff, die sich im Sommerwind der geöffneten Fenster leicht bewegten. Charlotte trat zu dem Erkerfenster und schloss es, ehe sie die Vorhänge zuzog und das Tageslicht aussperrte. Es war angenehm kühl im Raum und durch die geschlossenen Vorhänge fiel nur wenig Sonne und tauchte das Zimmer in mattes Licht.
„Komm“, sagte Charlotte. „Ich helfe dir!“ und half mir liebevoll meine Kleidung auszuziehen. Obwohl ich nur ein einfaches Shirt trug, das sie mir über den Kopf zu ziehen brauchte, wehrte sich mein geschundener Körper gegen die ungewohnten Bewegungen. Als ich die Arme über den
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