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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Kopfe und von den Köpfen ausgehenden Gewalt.
    Eine uns tiefer, als von Natur aus statthaft, traurig machende Verbitterung stieß jeden Tag in aller Frühe unsere qualvollen untüchtigen Köpfe zu einem einzigen heillosen dumpfen Vermutungszustand zusammen: alles in uns und an uns und um uns deutete darauf hin, daß wir verloren waren, ich genauso wie er, was wir anschauen und was wir durchdenken mußten, was wir gehen und stehen und schlafen und träumen mußten, um was immer es sich handelte. Georg war oft tagelang in der entferntesten von ihm so bezeichneten Höheren Phantasie, und er ging, wie ich fortwährend beobachten mußte, gleichzeitig immer in seinen Verzweiflungen hin und her, was auch mich verfinsterte, die Gesetze und ihre Errichter und die tagtäglichen rüden Vernichter aller Gesetze, beide gingen wir von einem bestimmten Zeitpunkt an auf einmal gemeinsam und wie für immer gemeinsam und durch das ganze große krankhafte Schema der Farben, in welchem sich die Natur in einem jeden vonuns als der schmerzhafteste aller Menschenschmerzen ausdrücken mußte. Wir hausten jahrelang, wenn auch auf der Oberfläche der Hauptstadt, so doch in einem von uns für uns geschaffenen System von nur für uns sichtbaren, uns schützenden Kanälen; in diesen Kanälen aber atmeten wir auch ununterbrochen eine tödliche Luft ein; wir gingen und wir krochen fast immer nur in diesen Kanälen unserer Jugendverzweiflung und Jugendphilosophie und Jugendwissenschaft auf uns zu ... diese Kanäle führten uns aus unserem Zirkusgassenzimmer, in welchem wir meistens betroffen von der Urteilskraft und von dem ungeheueren Überfluß der Geschichte, von uns selber betroffen auf unseren Sesseln am Tisch saßen, über unseren Büchern, fürchterlichen Verhunzungen, Verhimmelungen und Verspottungen unserer und der ganzen geologischen Genealogie, in den alten uralten Körper der Stadt hinein und aus diesem wieder hinaus in unser Zimmer zurück ... Acht entsetzliche Semester haben wir, Georg und ich, auf diese von mir nur angedeutete Weise in dem Zirkusgassenzimmer zusammen verbracht, zusammen verbringen müssen; keinerlei Unterbrechung war uns gestattet gewesen; wir waren die ganzen acht Semester, in welchen ich mir die Jurisprudenz verekelt hatte, Georg sich nicht weniger seine Pharmazie, nicht fähig gewesen, uns aus unserer gebückten Haltung, aus unser beider Verkrüppelung (auch ich war bereits verkrüppelt gewesen), weil wir uns ja, wie angedeutet, in allem und jedem immer in unsern Kanälen und also gebückt bewegen mußten, aus dieser Notwendigkeit in eine wenn auch noch so wenig höhere zu erheben; wir hatten die ganzen acht Semester nicht ein einziges Mal die Kraft gehabt, aufzustehen und davonzugehen ... Wir hatten ja nicht einmal die Kraft, weil keine Lust dazu gehabt, unser Zirkusgassenzimmerfenster aufzumachen und frische Luft hereinzulassen ... geschweige denn hatten wir auch nur eine einzige der unsichtbaren Kräfte gehabt ... Unser Gemüt war, wie unser Geist, so fest verschlossen gewesen, daß wir nachmenschlichem Ermessen einmal, wir waren nicht mehr gar zu weit davon, in uns ersticken mußten, wenn nicht etwas, das nicht von uns, auch nicht aus einem von uns kommen konnte, ein solcher metaphysikalischer Eingriff von außen in uns oder von innen in uns, eine Änderung unseres Zustandes aus zwei gleichen Zuständen, Georgs und meines, herbeiführte ... Unter einem ungeheuer komplizierten Verfahren gegen uns schrumpften in der für uns immer noch mehr atonischen Atmosphäre der Hauptstadt auch unsere Seelen zusammen. Wie so viele unseres Alters waren wir, rückhaltlos, in der Vorstellung tief vergraben und tief verscharrt gewesen, die besagt, daß es nirgends, weder innen noch außen, eine Möglichkeit für frische Luft und was sie hervorrufen, auslösen oder auslöschen kann, gibt, und tatsächlich gab es damals in dem Zirkusgassenzimmer für uns keine frische Luft; acht Semester lang keine frische Luft. Wir hatten jeder für sich einen vor vielen, was ihn betrifft, vor unzähligen Generationen im Gebirge entstandenen Namen, der, einmal links, einmal rechts des Inn, immer größer geworden war, jetzt aber, als ein Zerstörer von uns, am Ende von elterlichen Verfluchungen und Rechenkunststücken in die schamlos, wie wir mit ansehen mußten, wehleidig verkümmernde Hauptstadt hereinversetzt worden war. Jeder von uns war in seinem vielsagenden Namen eingeschlossen und konnte nicht mehr hinaus. Keiner kannte den Kerker des

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