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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Verne
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hatten.
    Trotzdem beginnen wir die schwere Ascension; der erste Führer haut die Stufen grob aus, der zweite erst macht sie gangbar, wir kommen in jeder Minute kaum zwei Schritte vorwärts. Je höher wir steigen, desto steiler wird der Abhang; die Führer treten mit einander über die einzuschlagende Route in Berathung, sprechen hierbei in ihrer eigenen Mundart und scheinen nicht einig in ihren Meinungen zu sein, was uns kein gutes Zeichen ist. Endlich geht es so schroff hinauf, daß die Ränder unserer Hüte die Beine der vorangehenden Führer berühren; Geröll von Eisstücken, durch das Einhauen der Stufen entstanden, blendet uns und macht unsere Lage noch gefährlicher. Ich wandte mich an die ersten Führer und sagte:
    »Wir gehen hier zwar auf keiner bequemen Straße, aber sie läßt sich doch noch erklettern; ich möchte mir nur die Frage erlauben, wo wir wieder hinabsteigen sollen?
    – O, mein Herr, bei der Rückkehr werden wir einen andern Weg einschlagen«, erwiderte Ambroise Ravanel.
    Endlich, nach zweistündigen, gewaltsamen Anstrengungen, nachdem wir über vierhundert Stufen ins Eis geschlagen hatten, kamen wir auf dem Gipfel des Corridor an.
    Wir überschreiten ein leicht ansteigendes Schneeplateau und gehen längs einer ungeheuren Spalte hin, die uns den Weg versperrt. Aber kaum haben wir auch dies Hinderniß überwunden, als ein Schrei der Bewunderung sich unserer Brust entringt: Zur Rechten liegen Piemont und die Ebenen der Lombardei; zur Linken erheben die Felsenmassen der Penninischen Alpen und des Oberlandes ihre schneegekrönten, unvergleichlichen Gipfel; nur der Mont-Rose und der Cervin beherrschen uns noch, aber bald werden wir auch über sie triumphiren.
    Diese Betrachtung führt uns zum Ziel unserer Expedition zurück; wir wenden unsere Blicke nach dem Mont-Blanc und stehen starr vor Staunen.
    »Wie weit noch! ruft entsetzt Levesque.
    – Und wie hoch!« füge ich hinzu.
    Wir hätten in der That verzweifeln können! die berüchtigte, so sehr gefürchtete Eiswand lag unter einem Neigungswinkel von fünfzig Grad vor uns. Nachdem es uns jedoch gelungen war, den Abhang des Corridor zu erklettern, schreckte uns nichts mehr; wir gönnten uns eine halbstündige Rast und setzten dann unseren Weg fort. Bald aber wurden wir gewahr, daß die
     

    Gipfel des Mont-Blanc. (S. 272.)
     
    atmosphärischen Verhältnisse nicht dieselben blieben; die Sonne senkte ihre glühendsten Strahlen auf uns herab, und der Reflex des Lichts auf dem Schnee verdoppelte unsere Pein; auch begann die Verdünnung der Luft sich in grausamer Weise fühlbar zu machen. Wir mußten häufig anhalten und rückten nur mit äußerster Langsamkeit vor; endlich aber erreichten wir das Plateau über der zweiten Abdachung der Rochers-Rouges. Wir standen jetzt am Fuße des Mont-Blanc; er erhob sich allein und majestätisch in einer Höhe von 200 Meter über uns. Auch der Mont-Rose hatte jetzt die Segel streichen müssen!
    Levesque und ich waren bis auf’s Aeußerste erschöpft und ermattet; Herr N… jedoch, der uns auf dem Gipfel des Corridor eingeholt hatte, war gegen die Verdünnung der Luft unempfindlich… er athmete so zu sagen überhaupt nicht mehr.
    Endlich machten wir uns daran, die letzte Stufe zu erklettern: nach zehn Schritten jedoch mußten wir stehen bleiben, da wir absolut nicht im Stande waren weiter zu gehen. Eine schmerzhafte Zusammenziehung der Kehle machte das Athmen noch schwieriger, die Beine versagten den Dienst – ich verstand jetzt den barocken Ausdruck Jacques Balmat’s, der bei Erzählung seiner ersten Ascension erklärte: »Meine Beine schienen nur noch mit Hilfe des Beinkleids an mir zu hängen.« Ein stärkeres Gefühl beherrschte jetzt unser Fleisch und wenn der Körper um Gnade flehte, übertönte das Herz seine Klagen mit dem Rufe:
Excelsior! Excelsior!
und stieß unsere arme, ermattete Maschine gewaltsam vorwärts. So schleppten wir uns über die Petits-Mulets, 4666 Meter hoch liegende Felsen, und beherrschen endlich nach zwei Stunden übermenschlicher Anstrengung die ganze Kette. Wir stehen auf dem Gipfel des Mont-Blanc!
    Es war jetzt um zwölf Uhr fünfzehn Minuten.
    Der Stolz des Erfolges ließ uns schnell die furchtbare Ermüdung vergessen; endlich also hatten wir den ersehnten Gipfel erreicht, der alle anderen Berge überragt. Dieser Gedanke, den nur der Mont-Blanc hervor rufen kann, wirkte ergreifend auf uns. Wir fühlten befriedigten Ehrgeiz, und was speciell mich betraf, so verwandelte sich mir

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