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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Verne
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Begleiter drangen nun darauf, daß wir uns von der Karawane des Herrn N… losmachen müßten, da sie mit Recht fürchteten, daß wir bei einem Unglücksfall sämmtlich mit fortgerissen würden. Levesque sowie auch ich widersetzten uns diesem Ansinnen, und mit Anwendung der größten Vorsichtsmaßregeln kamen wir endlich unversehrt am Fuß des schwindelnden Abhanges, den wir in gerader Linie hinab steigen mußten, an. Eine Täuschung über die Gefahr, in der wir während dieses Niedersteigens schwebten, ist unmöglich; vor uns lag die ungeheure, grundlose Leere, und die losgelösten Eisstücke, die mit der Schnelligkeit eines Pfeiles an uns vorbei flogen, wiesen uns den Weg, den unsere Karawane nehmen würde, so wie einer von uns ausglitt.
    Als diese böse Stelle überschritten war, begann ich aufzuathmen; wir stiegen die weniger steilen Abhänge, die zum Gipfel des Corridor führen, hinab. Der von der Wärme erweichte Schnee gab unter unseren Schritten nach, wir sanken bis an die Kniee ein, und unser Marsch wurde dadurch sehr ermüdend.
    Wir folgten fortwährend unseren Spuren vom Morgen, und als ich hierüber meine Verwunderung aussprach, bemerkte Gaspard Simon:
     

    Abstieg der Karawane. (S. 274.)
     
    »Wir können keinen andern Weg nehmen, Herr; der Corridor ist unpassirbar, und so müssen wir dieselbe Mauer wieder hinab steigen, an der wir uns am Morgen herauf gearbeitet haben«
    Ich theilte Levesque diese wenig erfreuliche Nachricht mit.
    »Ich glaube jedoch nicht, fügte Gaspard Simon jetzt hinzu, daß wir auch dann noch zusammengebunden bleiben können: wir werden übrigens ja sehen, wie sich Herr N… nach diesem Anfang unserer Rückreise befindet.«
    Die furchtbare Mauer rückte uns immer näher; Herr N… mit seinen Führern begann hinab zu steigen, und wir hörten, daß Paccard sehr lebhaft mit dem Spanier sprach. Obgleich wir noch immer zusammengebunden waren, gestaltete sich der Abhang so, daß wir weder Herrn N… noch seinen Führer sehen konnten.
    Gaspard Simon, der mir voraus ging, blieb jetzt stehen, unterrichtete sich genau von der Sachlage, sprach einige Worte in dem dortigen Dialekt mit seinen Kameraden und theilte uns dann mit, daß wir uns von der Karawane des Herrn N… losmachen müßten.
    »Wir sind verantwortlich für Sie, fügte er hinzu; nicht aber für den anderen Herrn; und wenn er ausgleitet, werden wir unrettbar mit fortgerissen.«
    Mit diesen Worten band er sich los.
    Es wurde uns sehr schwer, in diese Anordnung zu willigen, aber unsere Führer waren hierin unbeugsam. Ich machte nun den Vorschlag, daß zwei unserer Begleiter den Führern des Herrn N… zu Hilfe eilen sollten; da jedoch keine überflüssigen Stricke vorhanden waren, konnte dieser Plan, trotz des guten Willens der Leute, nicht in Ausführung gebracht werden.
    Die entsetzliche Absteigung begann; nur ein Einziger von uns rührte sich auf ein Mal, während alle Anderen sich dagegen stemmten, um nöthigenfalls eine Erschütterung auszuhalten, im Fall er ausgleiten sollte. Der Führer an der Spitze des Zuges, Eduard Ravanel, hatte die gefährlichste Aufgabe; er mußte die durch den Uebergang der ersten Karawane mehr oder minder zerstörten Stufen wieder erneuern.
    Wir rückten langsam, unter Anwendung der größten Vorsichtsmaßregeln vor; unser Weg führte direct nach einer der Spalten hin, die sich jäh am Fuße des Abhangs öffneten. Als wir die furchtbare Wand hinauf kletterten, war unser Blick nicht darauf gefallen, jetzt aber schien uns die klaffende grünliche Oeffnung förmlich hinein zu ziehen. Es war, als ob sich sämmtliche, durch unseren Marsch losgebrochene Eisstücke verbündet hätten; sie sprangen mit drei Sätzen die Felswand hinunter und wurden sofort von dem Rachen des furchtbaren Minotaurus verschlungen. Während sich jedoch, wie uns die Mythe berichtet, der Rachen des wirklichen Ungeheuers immer wieder schloß, stand dieser unersättliche Spalt fortwährend offen und schien, um gesättigt die Kinnladen zuzuklappen, erst noch einen »fetteren Bissen« zu erwarten. Es kam darauf an, nicht selbst die Rolle dieses »fetten Bissens« zu übernehmen, und all unsere Anstrengungen zielten darauf ab. Um uns diesem Zauber, diesem moralischen Schwindel, wenn ich mich so ausdrücken darf, zu entziehen, versuchten wir wiederholt, über unsere heikle Lage, die wohl selbst einer Gemse peinlich geworden wäre, unsere Scherze zu machen; ja wir stimmten sogar einige Couplets des Maëstro Offenbach an; um der Wahrheit

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