Erzählungen
eigenthümlichem Glanz. Aus einer Entfernung, die sich nicht genau bestimmen läßt, schwankt das Licht der ersten Führer zu uns hinüber, und die tiefe Stille der Nacht wird nur durch das trockene Geräusch der Axt unterbrochen, die für uns Stufen in das Eis gräbt.
Langsam und vorsichtig klimmen wir den ersten Abhang empor und kommen nach zwei Stunden mühseligen Steigens auf dem Petit-Plateau an, das in einer Höhe von 3650 Meter am Fuß des Dom-du-Goûter liegt. Nach einer Ruhe von wenigen Minuten nehmen wir unsern Marsch wieder auf, biegen nach links ab und steuern dem Abhang zu, der zu dem Grand Plateau führt.
Aber schon ist unsere Karawane kleiner geworden; Herr N… mit seinen Führern hat sich abgelöst, denn seine ungeheure Ermüdung nöthigt ihn, eine längere Rast zu machen.
Gegen halb fünf Uhr beginnt die Morgenröthe am Horizont zu erscheinen, und wir überschreiten bei dem ersten Tagesgrauen das zum Grand-Plateau führende Gelände. Wir waren jetzt in einer Höhe von 3900 Meter angekommen und hatten demgemäß unser Frühstück wohl verdient. Sonderbarer Weise aßen Levesque und ich mit gutem Appetit, was für uns Beide ein gutes Zeichen war.
So richteten wir uns auf dem Schnee häuslich ein und ließen uns das improvisirte Mahl schmecken. Die Führer betrachteten unsern Erfolg bereits als gesichert; was mich indessen betraf, so fand ich ihr Urtheil ein wenig vorschnell.
Einige Minuten später holte uns Herr N… ein; wir baten ihn dringend, etwas Speise zu sich zu nehmen, aber er weigerte sich hartnäckig, denn er litt an einer in diesen Breiten sehr gewöhnlichen Zusammenziehung des Magens und fühlte sich außerordentlich matt und kraftlos.
Das Grand-Plateau ist so eigenartig, daß es wohl eine besondere Beschreibung verdient. Zur Rechten erhebt sich der Dom-du-Goûter und ihm gegenüber der noch um 900 Meter höhere Mont-Blanc. Zur Linken ragen die Rochers-Rouges und die Monts-Maudits empor. Dieser ungeheure Kreis von Bergriesen liegt in blendender Weiße da und zeigt auf allen Seiten ungeheure Spalten. In einer dieser Letzteren versanken im Jahre 1820 drei von den Führern, die den Doctor Hamel und den Oberst Anderson begleiteten, seitdem hat im Jahre 1864 noch ein anderer Führer, Ambroise Couttet, dort seinen Tod gefunden.
Man muß dies Plateau mit äußerster Vorsicht überschreiten, denn nur zu häufig befinden sich unter dem Schnee verborgene Spalten; auch fegen oft Lawinen darüber hin. Am 13. October 1866 wurde ein englischer Reisender und drei seiner Führer unter solch einem Schneeberge, der vom Mont-Blanc herabfiel, begraben, und erst nach sehr gefährlicher Arbeit gelang es, die Leichen der Führer wieder aufzufinden. Man hoffte von Minute zu Minute auf den Körper des Reisenden zu stoßen, als sich eine neue Lawine auf die erste herabsenkte und jede weitere Nachforschung unmöglich machte.
Jetzt lagen drei verschiedene Wege vor uns; der erste, gewöhnlichste wendet sich ganz nach links und folgt an der Basis der Monts-Maudits einer Thalschlucht, die Porche oder Corridor genannt wird und über mäßige Abhänge nach der Höhe des ersten Abfalls der Rochers-Rouges führt.
Der zweite, weniger besuchte Weg geht rechts über den Dom-du-Goûter und führt auf dem Grat, das diese beiden Berge verbindet, zum Gipfel des Mont-Blanc. Man muß hier drei Stunden lang einer schwindelnder Straße folgen und eine sehr schwer zu ersteigende, feste Eiskante erklimmen. Es ist dies die Bosse-du-Dromadaire.
Séracs. (S. 270)
Der dritte Weg führt direct zum Gipfel des Corridor hinauf und geht über eine 250 Meter hohe Eismauer hinweg, die sich an der ersten Abdachung der Rochers-Rouges entlang zieht.
Da unsere Führer die erste Straße wegen der frischen Spalten, die sie gänzlich versperrten, für unpassirbar erklärt hatten, blieb uns nur noch zwischen den beiden andern die Wahl. Was mich betraf, so stimmte ich für den zweiten Weg über die Bosse-du-Dromadaire, aber er wurde für zu gefährlich erklärt, und man beschloß, die zum Gipfel des Corridor führende Eismauer zu erklimmen.
Ist ein Entschluß gefaßt, so kann man meiner Meinung nach nichts Besseres thun, als ihn sofort ausführen Wir überschritten also das Grand-Plateau und näherten uns mehr und mehr dem furchtbaren Hemmniß.
Je weiter wir kamen, desto mehr schien sich der Abfall einer verticalen Linie zu nähern; auch thaten sich mehrere jähe Spalten zu unseren Füßen auf, die wir vorher nicht bemerkt
Weitere Kostenlose Bücher