Erzaehlungen
ihrer neuen Toilette berichten. Sie tat es schon ein bißchen mechanisch, aber sie fühlte doch, daß sie seit langer Zeit nicht so interessant gewesen war wie heute. Klingemann kam vorüber, grüßte mit spöttischer Höflichkeit und wandte sich nach Berta mit einem Blick um, in welchem sein Bedauern ausgedrückt schien, daß sie mit solchen Leuten verkehren müßten. Es war Berta, als hätte sie heute die Gabe, in den Blicken der Menschen zu lesen.
Es begann zu dunkeln. Man machte sich gemeinschaftlich auf den Rückweg. Berta wurde plötzlich besorgt, weil sie ihren Buben nicht getroffen hatte. Sie ging vorn mit Frau Martin. Diese lenkte das Gespräch auf Frau Rupius. Sie wollte durchaus herausbekommen, ob Berta nicht irgend etwas bemerkt hätte.
»Aber was denn, Frau Martin? Ich habe Frau Rupius zu ihrem Bruder begleitet und sie von dort wieder abgeholt.«
»Und sind Sie überzeugt, daß Frau Rupius die ganze Zeit bei ihrem Bruder war?«
»Ich weiß wirklich nicht, was man Frau Rupius zumutet! Wo sollte sie denn gewesen sein?«
»Nun,« sagte Frau Martin, »Sie sind wirklich naiv – oder stellen Sie sich nur so? Vergessen Sie denn ganz ...« Und jetzt flüsterte sie Frau Berta eine Bemerkung zu, über die diese ganz rot wurde. Nie hatte sie von einer Frau einen solchen Ausdruck vernommen. Sie war entrüstet. »Frau Martin,« sagte sie, »auch ich bin noch keine alte Frau, und Sie sehen, daß man sehr gut so leben kann.«
Frau Martin wurde etwas verlegen. »Nun ja, nun ja,« sagte sie, »Sie müssen eben denken, daß ich ein bißchen verwöhnt bin.«
Berta fürchtete, daß ihr Frau Martin noch nähere Aufschlüsse geben könnte, und war sehr froh, daß man eben an die Straßenecke gekommen war, wo sie sich verabschieden durfte.
»Berta!« rief ihr ihr Schwager nach, »deine Zeitung!« Berta wandte sich rasch um und nahm das Blatt. Dann eilte sie nach Hause. Ihr Bub erwartete sie schon am Fenster. Sie ging rasch hinauf. Sie umarmte und küßte ihn, als hätte sie ihn wochenlang nicht gesehen. Sie fühlte, daß sie ganz in der Liebe zu ihrem Kind aufging, was sie zugleich mit Stolz erfüllte. Sie ließ sich von ihm erzählen, wie er den Nachmittag verbracht, wo er gewesen, mit wem er gespielt, teilte ihm sein Nachtmahl vor, entkleidete ihn, brachte ihn zu Bett und war zufrieden mit sich. Wie an einen Fieberanfall dachte sie an ihren Zustand vom heutigen Nachmittag, da sie in alten Briefen gewühlt, ihr Schicksal verflucht und sogar die Tabaktrafikantin beneidet hatte. Sie aß mit gutem Appetit und legte sich früh zu Bett. Bevor sie aber einschlief, wollte sie noch die Zeitung lesen; sie streckte sich aus, knüllte den weichen Polster zusammen, damit ihr Kopf höher läge, und brachte das Blatt der Kerze so nah als möglich. Sie durchflog wie gewöhnlich zuerst die Theater-und Kunstnachrichten. Aber auch die »Kleinen Anzeigen« hatten seit dem Wiener Ausflug neues Interesse für sie bekommen, sowie der Lokalbericht. Schon begannen ihr die Lider zu sinken, als sie mit einemmal unter den Personalnachrichten den Namen Emil Lindbach entdeckte. Sie öffnete die Augen weit, setzte sich im Bett auf und las: »Der königlich bayrische Kammervirtuose Emil Lindbach, über dessen große Erfolge am spanischen Hofe wir kürzlich zu berichten in der Lage waren, ist von der Königin von Spanien durch Verleihung des Erlöserordens ausgezeichnet worden.«
Ein Lächeln ging über ihr Gesicht. Sie freute sich. Emil Lindbach hatte den Erlöserorden bekommen ... ja ... derselbe, dessen Briefe sie heute gelesen, ... derselbe, der sie geküßt, – derselbe, der ihr einmal geschrieben, er würde nie eine andere anbeten als sie ... ja, Emil – der einzige Mensch von allen auf der Erde, der sie eigentlich noch etwas anging – außer ihrem Buben natürlich. Es war ihr, als stände diese Notiz nur für sie in der Zeitung, ja als hätte Emil dieses Mittel gewählt, um sich mit ihr zu verständigen. Ob nicht doch er es war, den sie gestern von weitem, von rückwärts gesehen? Sie kam sich mit einemmale ihm so nah vor, sie lächelte noch immer und flüsterte vor sich hin: »Herr Emil Lindbach, königlich bayrischer Kammervirtuose ... ich gratuliere Ihnen ...« Ihre Lippen blieben halb offen. Eine Idee war ihr plötzlich gekommen. Sie stand rasch auf, nahm ihren Schlafrock um, ging mit dem Licht vom Nachtkästchen ins Nebenzimmer, setzte sich an den Tisch und schrieb folgende Zeilen mühelos, als stände irgendwer neben ihr, der ihr
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