Erzaehlungen
das Licht nicht aus und starrte von seinem Bett aus durch das gegenüberliegende Fenster in die Nacht. Er sah nur den Himmel und eine einsame Felsenspitze, über der ein Stern schimmerte. Vom Kirchturm schlug es halb eins, und die Klänge tönten lange fort, als wollte die Nacht sie nicht wieder herausgeben; sie wurden lauter, voller und endlich dröhnend wie Orgelklang. In einer riesigen, völlig leeren Kirche wandelte Robert mit Doktor Leinbach umher, und an der Orgel, ungesehen, aber Robert doch bewußt, saß der Pianist aus dem Nachtlokal, während Höhnburg die Register trat und dabei wie ein Hanswurst den Kopf weit über die Brüstung des Chors streckte und immer wieder zurückzog. Leinbach aber erklärte, daß der Mann dort oben nicht etwa eine Fuge von Bach spiele, sondern daß er Lebensgeschichten in Musik setze, wie das bekanntlich alle begabten Pianisten tun. Gleich darauf wanderte Robert zwischen Bahngleisen hin, einer offenen Landschaft zu, mit einer roten Fahne in der Hand, die er ununterbrochen schwenkte und endlich auf einen Erdhügel pflanzte, unter dem Alberta begraben lag. Dann schritt er auf einem schmalen Gebirgskamm hin, Abgründe zu beiden Seiten, mitten durch eine wundervolle, blaue Winternacht. Endlich saß er, erfrischt, mit kühlen Wangen und sich der Arbeit entgegenfreuend, in seinem Büro, als plötzlich sehr heftig an die Tür geklopft wurde. Er wußte sofort, daß dies nur Albertens Gatte sein konnte, der gekommen war, Rechenschaft von ihm zu fordern. Doch er war fest entschlossen, nicht zu öffnen. Vielmehr verließ er den Raum durch die gegenüberliegende Tür und stürmte weiter durch eine ganze Reihe von Zimmern; in jedem standen Tische, an jedem saßen Schreiber, deren Federn mit ungeheurer Eile über das Papier fuhren, mit der freien Hand aber warfen sie die Bogen in offene Reisetaschen, die sich immer selbsttätig auf- und zuschlössen, schnappend wie Krokodilmäuler. Dabei dauerte das Klopfen immer fort und schien sogar stärker und dringender zu werden. Unwillkürlich griff Robert nach dem Revolver, den er nach alter Reisegewohnheit auf das Nachttischchen gelegt hatte, erhob sich rasch, steckte die Waffe in seine Rocktasche, wußte, daß er erwacht war, und dachte: Ein Telegramm. Und er fragte: »Wer ist da?«
»Ich bin's, Robert«, erwiderte eine Stimme.
Das Blut erstarrte ihm. Es war Ottos Stimme. Schon also war er ihm nachgereist, schon war er da, um sein fürchterliches Werk zu vollbringen. Ein Glück, daß die Tür versperrt war.
»Darf man hinein?« fragte Otto. Doch ehe Robert noch zu antworten vermochte, öffnete sich die Tür, die Robert zuzusperren vergessen hatte.
»Was willst du?« fragte Robert mit aufgerissenen Augen, und dabei war er sich wie einer Qual des Umstands bewußt, daß beide Lidspalten gleich weit offen standen.
Otto stand ihm in der Tür gegenüber im Pelz und mit einem dicken Schal um den Hals. Hastig sprach er. »Man hat mir unten gesagt, daß du um zwei Uhr auf die Bahn wolltest, aber du hast verschlafen. Übrigens wäre ich nicht heraufgekommen, wenn ich nicht Licht in deinem Zimmer gesehen hätte.«
»Wo ist Paula?« fragte Robert heiser.
»Paula kommt morgen. Vorläufig mußt du dich mit ihren Grüßen begnügen.« Er hatte immerfort ein starres Lächeln um die Lippen.
»Was willst du hier? Warum kommst du?« Er setzte sich im Bett auf, fühlte das Glühen und Drohen seiner eigenen Blicke.
»Warum ich komme? Nun –«, und ein unterdrücktes Aufschluchzen war in Ottos Stimme – »nun zum Teufel, ich komme, weil es mir so beliebt! Was ist dir denn nur eingefallen, Robert? Was hast du dir denn wieder in den Kopf gesetzt?«
»Warum bist du da? Was willst du von mir? Nimm – nimm deine Hände aus dem Pelz!«
Otto sah ihm starr ins Gesicht. Zuerst schien er nicht recht zu verstehen. Dann aber, mit übertriebener Gebärde, riß er beide Hände aus den Taschen seines Pelzes, schüttelte den Kopf und verzog den Mund, als wenn er lachen wollte, dann biß er sich in die Lippen und sagte: »Du – du träumst offenbar noch. Komm doch zu dir. Ich bin's, Robert – dein Bruder, dein Freund. Was bildest du dir denn ein? Dein Bruder – Robert. So glaube doch, so wisse doch endlich, es ist doch nicht im Ernst möglich, daß du – denkst –«
Und die Worte versagten ihm. In seinen Augen war Angst, Mitleid und Liebe ohne Maß. Doch dem Bruder bedeutete der feuchte Glanz dieses Blickes Tücke, Drohung und Tod. Otto wieder, von dem Ausdruck des
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