Erzählungen
Form und seinem fettigen Aussehen nach zum Binden des bei Matrosen so beliebten langen Zopfes gebraucht worden ist. Es ist in einen Knoten geschlungen, den fast nur Matrosen und hauptsächlich Malteser zu binden verstehen. Ich hob das Band am Fuß der Blitzableiterstange auf. Es kann keiner der Ermordeten gehört haben. Sollte es aber ein Irrtum gewesen sein, aus dem Band zu schließen, daß der für unseren Fall in Frage kommende Franzose ein Matrose auf einem Malteser Schiff ist – nun, so habe ich doch niemandem mit meiner Anzeige geschadet. Sind meine Annahmen falsch, dann wird der Mann nur annehmen, daß ich durch irgendwelche Umstände, die zu erfahren er sich nicht erst bemühen wird, irregeführt worden bin. Habe ich aber recht, so ist viel gewonnen. Da er, wenn auch selbst unschuldig, mit in den Mord verwickelt ist, wird er erklärlicherweise zögern, auf die Anzeige zu antworten und den Orang-Utan abzuholen. Er wird etwa folgendermaßen mit sich zu Rate gehen: ›Ich bin unschuldig; ich bin arm; mein Orang-Utan ist ein wertvolles Tier, für jemanden in meinen Verhältnissen bedeutet er ein ganzes Vermögen. Weshalb sollte ich ihn aus törichter Angst vor Gefahr verlieren? Ich kann ihn zurückbekommen, es liegt an mir. Er wurde im Bois de Boulogne eingefangen – weit entfernt vom Schauplatz der Morde. Wie könnte einer auf die Idee kommen, daß ein vernunftloses Tier die Tat begangen hat? Die Polizei weiß nicht aus noch ein, da sie nicht den geringsten Anhalt gefunden hat. Selbst wenn man auf die Spur des Tieres käme, wäre es unmöglich, mir zu beweisen, daß ich von dem Mord weiß, oder mich auf Grund der Mitwisserschaft zu verurteilen.
Vor allem jedoch, man kennt mich. Der Inserent bezeichnet mich als den Besitzer des Tieres. Ich weiß nicht, wie weit seine Kenntnisse bezüglich meiner Person noch reichen. Wenn ich es unterlasse, ein so wertvolles Eigentum, das als mir zugehörend bekannt ist, zurückzufordern, mache ich das Tier zum mindesten verdächtig. Es wäre unklug gehandelt, auf das Tier oder auf mich irgendwelche Aufmerksamkeit zu lenken. Ich werde auf die Anzeige hin den Orang-Utan holen und sicher einsperren, bis Gras über die Sache gewachsen ist.‹ «
In diesem Augenblick vernahmen wir Schritte auf der Treppe.
»Halten Sie die Pistolen bereit«, sagte Dupin, »doch zeigen und gebrauchen Sie dieselben nicht eher, bis ich Ihnen ein Zeichen gebe.«
Die Vordertür des Hauses war offen geblieben, der Besucher ohne zu läuten eingetreten und mehrere Treppenstufen hinaufgestiegen.
Jetzt schien er jedoch zu zögern, plötzlich hörten wir ihn wieder hinabsteigen. Dupin eilte rasch nach der Tür, und wir hörten ihn wieder heraufkommen. Er wandte sich nicht wieder zurück, sondern stieg mit entschiedenen Tritten bis zur Tür unseres Zimmers herauf und klopfte an.
»Herein!« rief Dupin mit heiterem, herzlichem Tone.
Ein Mann trat ein, augenscheinlich ein Matrose, eine große, kräftige, muskulös aussehende Persönlichkeit mit einem so verwegenen, jedoch keineswegs unangenehmen Gesichtsausdruck, als nähme er es mit allen Teufeln auf. Sein sonnverbranntes Gesicht wurde durch den Backenbart und Schnurrbart fast über die Hälfte verdeckt. Er trug einen großen Eichenknüttel bei sich, war aber sonst unbewaffnet. Er verbeugte sich linkisch und wünschte uns mit einem Akzent, der unfehlbar auf Pariser Abstammung hindeutete, guten Abend.
»Nehmen Sie Platz, mein Freund«, sagte Dupin. »Ich vermute, Sie kommen wegen des Orang-Utans. Ich beneide Sie wahrhaftig um das Tier; es ist ein auffallend schönes und ohne Zweifel sehr wertvolles Exemplar. Für wie alt halten Sie es wohl?«
Der Matrose atmete auf, mit der Miene eines Menschen, dem eine unerträgliche Last vom Herzen fällt, und erwiderte in beruhigtem Tone:
»Ich weiß es nicht genau, aber er kann nicht mehr als vier oder fünf Jahre alt sein. Haben Sie ihn hier?«
»O nein; wir hatten hier keine passende Unterkunft für ihn! Er ist in einem Mietstall in der Dubourgstraße, gleich nebenan. Sie können ihn morgen früh haben. Sie sind doch natürlich auch imstande, sich genügend zu legitimieren?«
»Gewiß, Herr!«
»Es tut mir leid, das Tier wegzugeben«, sagte Dupin.
»Sie werden Ihre Mühe natürlich nicht umsonst gehabt haben, Herr«, sagte der Mann. »Das verlange ich gar nicht. Ich zahle sehr gern eine Belohnung, das heißt, alles was recht ist.«
»Gut«, versetzte mein Freund, »das ist ja recht schön. Lassen Sie mich
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