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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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fühlte ich mich bald wieder erleichtert, als ich sah, daß die Dame dem Herrn, ohne ein Wort zu sagen, nur den Theaterzettel überreichte. Der Leser wird sich aber nur eine schwache Vorstellung von dem Erstaunen machen können, von der grenzenlosen Verwunderung, von dem verwirrenden Entzücken, das mein ganzes Wesen erfüllte, als sie gleich darauf, nachdem sie einmal flüchtig umhergespäht hatte, ob man sie beobachte, ihre strahlenden Augen mit einem festen, vollen Blick auf mir ruhen ließ und dann mit kaum merklichem Lächeln, das die glänzende Perlenschnur ihrer Zähne enthüllte, zwei deutlich markierte, unverkennbar bejahende Bewegungen mit dem Kopf machte. Es wäre nutzlos, meine Freude, mein Entzücken und meine hingerissene Seligkeit schildern zu wollen. Wenn je ein Mensch vom Übermaß des Glückes toll wurde, so war ich es. Ich liebte! Ich liebte zum ersten Male – meine Liebe war grenzenlos, spottete jeder Beschreibung. Es war eine ›Liebe auf den ersten Blick‹, und auf den ersten Blick war sie auch verstanden und erwidert worden.
    Ja: erwidert! Wie und warum sollte ich auch nur einen Augenblick daran zweifeln? Welch andere Auslegung ließ dies Benehmen der schönen, reichen, offenbar so gebildeten, so fein erzogenen Dame zu, wie Madame Lalande es war? Ja, sie liebte mich! – Sie erwiderte meine begeisterten Gefühle mit einer ebenso rücksichtslos blinden Leidenschaft, mit einer ebenso unbegrenzten Hingabe, wie ich sie selbst empfand!
    Diese entzückend schönen Phantasien und Gedanken wurden jetzt durch das Fallen des Vorhangs unterbrochen; das Publikum erhob sich und drängte den Ausgängen zu. Ich verabschiedete mich rasch von Talbot und suchte mir einen Weg in die Nähe meiner Angebeteten zu bahnen. Bei dem großen Gedränge gelang es mir jedoch nicht; ich mußte meinen Plan aufgeben und meine Schritte heimwärts lenken. Doch tröstete ich mich darüber, daß es mir nicht einmal vergönnt gewesen war, den Saum ihres Kleides zu berühren, mit der Hoffnung hinweg, morgen in aller Form durch Talbot bei ihr eingeführt zu werden.
    Endlich, endlich kam denn auch dies Morgen , das heißt: nach einer in qualvoller Ungeduld durchwachten Nacht begann der Tag zu dämmern, und dann schlichen die Stunden so langsam wie auf Schnekkenfüßen dahin; es wollte nicht ein Uhr werden. Doch wie man sagt, hat ja ›alles ein Ende‹ – so schlug denn auch die Uhr die ersehnte Stunde, und ich sprang sofort auf, um Talbot aufzusuchen.
    »Ist nicht zu Hause«, sagte Talbots Diener.
    »Nicht zu Hause?« wiederholte ich und taumelte ein halbes Dutzend Schritte zurück – »lassen Sie es sich gesagt sein, mein Bester, daß Sie da eine ganz faule Ausrede vorbringen. Herr Talbot ist wohl zu Hause. Weshalb eigentlich wollen Sie ihn verleugnen?«
    »Herr Talbot ist nicht zu Hause, mein Herr. Er ritt gleich nach dem Frühstück zum Gut hinaus und hinterließ nur, daß er vor acht Tagen nicht wieder in der Stadt sein werde.«
    Von Schreck und Wut gepackt stand ich wie versteinert da. Ich wollte mich zu irgendeiner Antwort zwingen, doch die Zunge versagte mir den Dienst. Dann wandte ich mich, bleich vor Ingrimm, zum Gehen und verfluchte das ganze Geschlecht der Talbots in die tiefsten Tiefen der Hölle. Offenbar hatte mein rücksichtsvoller Freund, der Musikenthusiast, die Verabredung mit mir vergessen, ebenso schnell vergessen, wie sie geschlossen war. Er hatte es ja nie mit seinen Versprechungen genau genommen. Da war also nichts mehr zu machen. Ich schluckte meinen Ärger, so gut es gehen wollte, hinunter, schlenderte verstimmt die Straße hinab und suchte durch tausend unbedeutende Fragen von jedem Bekannten, der mir in den Weg kam, etwas über Madame Lalande zu erfahren. Dem Namen nach war sie allen bekannt, vielen auch vom Ansehen, doch befand sie sich erst seit ein paar Wochen in der Stadt, hatte nur sehr wenig persönliche Bekannte, und diese wenigen waren nicht so vertraut mit ihr, daß sie sich die Freiheit nehmen konnten oder wollten, mich bei ihr einzuführen. Während ich nun voller Verzweiflung dastand und mich mit drei Freunden über den Gegenstand, der mein ganzes Herz ausfüllte, unterhielt, geschah es, daß dieser selbst plötzlich erschien.
    »Wahrhaftiger Gott! Da ist sie ja!« rief einer von ihnen.
    »Wie hinreißend schön sie aussieht!« flüsterte ein anderer.
    »Ein Engel auf Erden!« meinte der dritte.
    Ich sah auf und erblickte in einem offenen Wagen, der sich uns langsam näherte, die bezaubernde

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