Erzählungen
Die Feuchtigkeit sickert in Tropfen durch das Gebein. Kommen Sie, wir wollen zurückgehen, ehe Sie sich schaden. Ihr Husten …«
»Hat nichts zu sagen«, entgegnete er lallend, »wollen weitergehen!
Können ja … noch einen Schluck Medoc …«
Ich brach einer Flasche De Grave den Hals und reichte sie ihm. Er leerte sie auf einen Zug. Seine Augen funkelten jetzt in dem sonderbarsten Lichte. Er lachte dabei und warf die Flasche mit einer Geste, die ich nicht verstand, in die Luft. Ich sah ihn etwas erstaunt an. Er wiederholte die Bewegung – sie war sehr grotesk.
»Sie verstehen nicht?« fragte er.
»Nein!« erwiderte ich.
»Sind also nicht … in der Loge?«
»Wie?«
»Sie sind … nicht Maurer?«
»Doch! doch!« sagte ich. »Doch! doch!«
»Sie? Unmöglich! Sie – Maurer?«
»Ja, Maurer«, behauptete ich.
»Ein Zeichen!« rief er.
»Hier!« gab ich zurück und zog eine Kelle aus den Falten meines Mantels.
»Sie scherzen!« meinte er und trat ein paar Schritte zurück. »Aber kommen Sie … zu dem Amontillado!“
»Weiter!« sagte ich, versteckte das Werkzeug wieder unter meinem Mantel und bot ihm meinen Arm.
Er stützte sich schwer auf, und wir setzten unsern Weg fort. Zunächst kamen wir durch eine Reihe niedriger Bogengänge, stiegen tiefer hinab, gingen weiter, stiegen noch tiefer hinab und gelangten endlich in eine Wölbung, in deren unreiner Luft unsere Fackeln nur noch glühten und fast kein Licht mehr gaben.
Am Ende der Wölbung befand sich eine zweite, weniger geräumige. An ihren Wänden waren, wie in den großen Katakomben zu Paris, bis zur Decke menschliche Gebeine aufgeschichtet. Drei Seiten dieser inneren Krypta waren in dieser Art geschmückt. Von der vierten war das Gebein herabgefallen, lag verstreut auf dem Boden umher und bildete einen Haufen von ziemlicher Höhe. In der freigelegten Mauer befand sich eine Nische von vielleicht vier Fuß Tiefe, drei Fuß Breite und sechs oder sieben Fuß Höhe. Sie war offenbar zu keinem bestimmten Zweck errichtet, sondern bildete einfach den Zwischenraum zwischen zwei der ungeheuren Pfeiler, die das Gewölbe stützten. Ihre Rückwand war die massive Granitmauer, die das Ganze umschloß.
Vergebens erhob Fortunato seine trübe Fackel, um in die Nische hineinzuspähen: das schwache Licht ließ die gegenüberliegende Mauer nicht erkennen.
»Treten Sie ein«, sagte ich, »dort liegt der Amontillado. Was Luchesi anbetrifft …«
»Er ist ein Dummkopf“, unterbrach mich mein Freund und tappte vorwärts, während ich ihm auf dem Fuße folgte. Im Augenblick war er am Ende der Nische angelangt, und als er fühlte, daß ihn der Fels hindere, weiter vorzudringen, blieb er verdutzt stehen. Im nächsten Augenblick schon hatte ich ihn an den Felsen angekettet. In diesen waren nämlich in einer Entfernung von ungefähr zwei Fuß zwei eiserne Ringe eingelassen. In einem derselben hing eine kurze eiserne Kette, in dem anderen ein Vorlegeschloß. Nachdem ich ihm die Kette um den Leib gewunden hatte, war es das Werk einer Sekunde, sie zu schließen. Er war zu verblüfft, um Widerstand zu leisten. Ich nahm den Schlüssel an mich und trat aus der Nische.
»Fahren Sie einmal mit Ihrer Hand über die Mauer«, sagte ich, »Sie müssen den Salpeter fühlen können. Es ist in der Tat sehr feucht.
Noch einmal lassen Sie mich bitten: Kehren Sie zurück! Nein? Sie wollen nicht? Ja – dann muß ich Sie endgültig verlassen. Doch vorher will ich Ihnen all die kleinen Bequemlichkeiten beschaffen, die nur möglich sind.«
»Der Amontillado!« rief mein Freund, der sich von seinem Erstaunen noch nicht erholt hatte.
»Natürlich, natürlich!“ erwiderte ich, »der Amontillado.«
Während ich diese Worte sagte, machte ich mich über den Knochenhaufen her, von dem ich schon gesprochen habe, und warf ihn beiseite. Bald deckte ich auf dem Boden eine ziemliche Menge Bausteine und Mörtel auf. Mit diesem Material und meiner Kelle begann ich nun eifrig, den Eingang zur Nische zu vermauern.
Ich hatte kaum die erste Lage Steine gelegt, als ich bemerkte, daß die Trunkenheit Fortunatos zum großen Teil verschwunden war. Das erste Zeichen davon war ein dumpfer Schrei, der mir aus der Nische entgegenklang: es war nicht der Schrei eines Betrunkenen! Dann folgte ein längeres Schweigen. Ich mauerte die zweite Lage auf, die dritte, die vierte, dann hörte ich wütendes Kettengerassel. Das Geräusch dauerte mehrere Minuten, und um mit rechter Genugtuung zuhören zu können,
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