Erzaehlungen aus dem Nachlass
zeterte eine Alte am Friedhofsthor. »Was ist ihm denn eigentlich g’schehn, dem Tonio?« »Was ihm g’schehen ist?« fuhr die Alte den jungen Fragesteller an »das wißt’s nicht? Ein Säufer war er. Jeden Tag haben’s ihn im Graben aufg’funden, den… Na, und jetzt hat er endlich g’nug g’habt. ‘s hat ihm den Rest ‘geben, dem Lumpen. Ein Weib und ein kleines Kind hat er zurückg’lassen. Wird ihnen just nicht gut gehn. – Geschieht ihr recht, der Ann’. Wärs lieber z’haus blieben, hats den Saufer-Tonio heiraten müssen, hat’s ja längst g’wußt, was er für einer… Pst! Pst!…« unterbrach sie ihren Redestrom und wies mit dem knochigen Finger auf ein blasses jugendliches Weib, das eben aus dem Kirchhofthor trat. »Das ist sie, die Ann’«, fügte sie leise hinzu. Die Witwe drehte sich im Augenblicke um und nahm das Kind, einen etwa fünfjährigen Knaben, der hinter ihr hergelaufen war, bei der Hand. Dann neigte sie sich zu ihm und sprach hastig einige leise Worte. – Sie ging so schnell dem Städtchen zu, daß die anderen von der Freundschaft kaum folgen konnten. Es waren ihrer genug. Lauter kleine Arbeiter und Werkleute, wie der Verstorbene. Sie schritten langsam einher und zerstreuten sich bald rechts und links in die Seitengassen.
Die Änn’ aber war mit ihrem Kinde nun auch schon vor dem Hause angelangt, in dessen Erdgeschoß sich die Tischlerwerkstatt und das kleine dunstige Wohnzimmer befand. Sie trat ein und kniete mit dem Kleinen vor einem alten Madonnenstich nieder. In heißem Gebete hob sie die gefalteten Hände. Dann umarmte sie den kleinen Tonio gar heftig: »Nur für dich will ich leben.« Lispelte sie. – Und sie lebte nur für ihn. Vom frühen Morgen an, wo das Kind die großen Blauaugen aufschlug, wachte sie über ihn, bis sie ihren To, so hatte sich der Knabe selbst genannt, des Abends wieder zu Ruhe bettete. Nichts Schlimmes, nichts Hartes sollte er erfahren. Seine Kindheit sollte ihm ein schöner, ungestörter Traum sein.
Ihre Arbeit gestattete der Mutter, im Hause zu bleiben. So verlor sie ihn keinen Augenblick aus den Augen. An schönen Sommertagen durfte der Kleine im Hofe vor dem Fenster spielen. Und wie selig war Ann’, wie schlug ihr Herz, wenn er mit freudegeröteten Wangen in die Stube sprang und seine weichen, warmen Kinderlippen auf ihre bleiche Stirn drückte! Da schwanden alle die bösen Falten, die Rinnen der Sorge, für Augenblicke, sie eilte selbst auf den Hof und spielte »fangen« mit ihrem Herzensto! Wie jauchzte das Kind, wenn es schneller war als Mütterchen, wenn er ihr in einer Ecke zuvorkam, und mit ausgebreiteten Armen die absichtlich Zögernde auffing. – Die Zeit verging. To mußte in die Schule. Das war nun hart für die Mutter. Aber was half’s? Und To lernte fleißig. Sein aufgeweckter Sinn faßte rasch auf. Er war bald der Liebling des Lehrers. Die Mutter nahm mit ihm jede Aufgabe selbst durch; es machte ihr so viel Freude zu sehen wie der Junge die Wörter und Sätze las und hersagte. Abends oft wenn er schlief, kniete sie vor dem Madonnenbilde. Sie dankte der Heiligen für dieses Kind, ihren Trost, und flehte, es möchte etwas recht Tüchtiges werden aus ihrem To.
Eines Tages war die Schule früher aus, als sonst. Der Knabe war einen Augenblick allein zuhause. Die Mutter bemerkte, als sie eintrat, daß er etwas eilig vor ihr verberge.
»Komm, mein Kind«, rief sie. Sie streckte ihm beide Arme entgegen.
To aber blieb stehen. Er hielt einen Gegenstand hinter dem Rücken fest.
»Nun?… Was trägst du dann dort? fragte Ann’ plötzlich in anderm Tone.
Der Knabe errötete über und über. Er biß mit den Zähnen die Unterlippe und schwieg.
»Ist es wohl gar eine Überraschung fürs Mütterchen?« Sie bemühte sich zu scherzen. »Hast mir was mitgebracht, To, eine Blume leicht?«
Da stürzten dem Kleinen die Thränen aus den Augen. Er lief zu ihr, kniete vor sie hin und schluchzte laut und schmerzlich.
Das Weib aber löste den Gegenstand aus seinen Händen. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Sie hielt sich mit der Hand krampfhaft am nächsten Stuhle. »Gott! Gott!« stammelte sie.
Es war eine Flasche mit Branntwein.
Woher hast du das? Was wolltest du damit? fragte sie mit bebender Stimme.
Das Kind konnte nicht antworten. Thränen erstickten jeden Laut.
»Sprich!« Ann’ rührte sich nicht.
»Ein Bub – hat mir’s geben«, brachte To endlich mühsam hervor,… »und ich hab davon trunken… weil…«
»Du hast?« schrie
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