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Erzaehlungen aus dem Nachlass

Erzaehlungen aus dem Nachlass

Titel: Erzaehlungen aus dem Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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nieder.
    Schweigend hebt er den Blick zum Himmel.
    Alles vorbei! Alles!
    Jetzt will, jetzt kann er nicht mehr leben.
    Zwei haben sie ihm heute zu Grabe getragen: Sein Weib und seine Hoffnung.
    Beide sind sie tod.
    Freilich, noch eine Mutter lebt ihm; die aber kennt ihn nicht mehr.
    Er hat sie gekränkt; gegen ihren Willen ein Weib genommen …
    Nein, die Mutter – kennt ihn nicht…
    Niemand hat er. Niemand…
    Denn er hat sich selbst nicht mehr.
    Hat sich – verloren und ist – verdorben…
    … Und ihn friert in der blauen kosenden Sommernacht.
    Gut…
    So mag denn das Leben…
    O, er kennts – zu gut … das Jenseits aber das ist das große, graue Geheimnis.
    Den Schlüssel dazu trägt der Tod.
    Leicht gibt er ihn nicht her.
    Umarmen muss man ihn, den kalten, stummen Gesellen.
    So fest umarmen, dass das Blut in den eigenen Adern gefriert bei der Berührung.
    So fest dass das Herz stehen bleibt mit zuckendem Riss…
    So fest …
    Der Mann hat sich quer über die Schienen gelegt.
    Mag nur niemand kommen. Jedes Geräusch das der Wind in den wogenden Wipfeln erregt, macht ihn beben: Nur jetzt niemand.
    … und recht bald mag es herankommen das harte eiserne Riesenungethüm und ihn zermalmen. Zerreißen, zerreißen und die zuckenden Fetzen an diese Bäume schleudern, dass sie dort hangen bleiben und das niederträufende Blut die Thale überschwemmt, die weiten, schlummernden Thale.
    Wollust war ihm diesen Gedanken zu denken.
    Er denkt ihn wieder und wieder.
    Er sieht wie das Blut roth und rauchend sich in sein Dörfchen ergießt in die stillen, reinlichen Gassen … Ha, wie sie schrein, – weil sie sehen, dass die alte lächelnde Heuchelei von Frieden und Glück ersaufen muss in der brandenden, brodelnden Blutfluth.
    Die Wuth rüttelt ihn…
    Dann vergehn ihm die Sinne.
    Ein Falter legt ihm im Fluge sein surrendes Summen ins Ohr…
    Jetzt kommts von ferne, denkt er; der Zug! Der Zug. Seine Seele jubelt.
    Unter der Brust faltet er die Hände:
    »Vater unser, der du bist in dem Himmel …«
    Wielang er so nicht gebetet hat … die Worte verwirren sich ihm.
    Von Neuem beginnt er: Vater unser …
    Und nocheinmal hebt er an. Nein, auch das ist vergessen. – – –
    Aber er liegt ja wohl Jahrhunderte schon hier. Endlos däucht ihn die Zeit. Die Mondnacht zählt keine Minuten. Zeitlos wie das Nichts und ohne Bewegung lastet sie über der Welt … So lange, lange. Er seufzt.
    Die Arme schmerzen ihn. Er löst die gefalteten Finger. Beten kann er ja doch nicht.
    Jetzt kommt es über ihn so still, so schwer.
    Die Augenlieder drücken wie Blei … wie Blei, … wie Blei …
    Er schläft. –
    Träume.
    Er ist noch ein Kind. Krank; im Fieber. Im Eisenbettchen wirft es ihn hin und her. Er liegt doch im Eisenbettchen? – Er greift … ja er fühlt ja den kühlen Eisenstab am Rande …
    Mutter ist ja bei ihm. Wie gut sie ihm zuspricht. In Arzenei reicht: Nimm, Kind … und Limonade … so, halt dich still! – Deck dich gut, gut zu. Ah – wie warm das ist … besser, viel besser …
    Mutter küsst ihn … küsst ihn …
    Mutter! Er schreit es … erwacht …
    Jäher Schreck durchzuckt ihn …
    Wo, wo – – – ist er … da der matte blaue Himmel … der Damm, die Schienen … alles fällt ihm bei …
    Da braust nicht etwas. Dort, – ja ein rothes Licht – flimmert durch die Nacht …
    Um Gott – nicht sterben.
    Zur Mutter, zur alten, guten Mutter …
    Weg, – weg – aber die Glieder sind ja lahm.
    Da kaum dreißig Schritte noch … wie das braust …
    Alle Kraft auf … auf!
    Gelungen! …
    Aber nein, die Schiene ist glatt – – er fällt … auf, Mutter! auf!
    Da – da Brausen… Tosen… so laut…
    Lichtschimmer –… auf!…
    Gott!… Brausen… Brausen…
    Hilfe! Mu… tter…
    Leise geht durch den schwarzen ragenden Wald die einsame blaue Mittsommernacht.
    Silber streut sie auf den wurzelgeäderten Pfad.
    Sie schweigt. Die Blumen träumen Träume von Frieden und Glück.
    Grau durchschneidet den Wald ein steiler ragender Erdwall.
    Hin über den scheidenden Damm schleichen zwei gleißende Schlangen. Bald glimmen sie auf in blauem, heimlichen Lichte, bald tauchen sie wieder in Dämmern die langen, ringelnden Leiber…
    Aber – wehe sie haben den Frieden zerstört.
    Zwischen den Schlangen da liegt ihre grausige Beute.
    Formlos zerfetzt ein dunkler, blutiger Körper…
    Und Blut träuft über den Damm roth in die schweigenden Thale…

»To«
    »Ich hab’s immer g’sagt, daß es so ein End’ nehmen wird,«

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