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Erzaehlungen aus dem Nachlass

Erzaehlungen aus dem Nachlass

Titel: Erzaehlungen aus dem Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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Instrumente trug er noch unter seinem Rock im Arbeitssack. Sonderbar, er hatte heute mehr Werkzeuge mit nach Hause genommen, als er sonst pflegte. – Jetzt trat er noch einmal an das Bett. Beugte sich nieder und drückte einen langen Kuss auf die bleiche Stirn der Mutter, küsste auch Marie und hieß sie den Kleinen neben die Mutter betten. Dann ging er. – Es war neun Uhr. – Im ersten Stockwerk nur brannte ein mattes Licht, so dass es oben ganz dunkel war im Stiegenhause. – Vor der Thür blieb er noch einmal stehen. Tiefe Stille. – Da aufeinmal hörte er Mariechen, und das Lallen des Kleinen dazwischen: »Vater unser, der du bist in dem …«
    Eilig stieg er die enge Treppe hinab. –
II.
    Mählich lichtete sich die Nacht. – Ein leichter röthlicher Dämmerschein spielte um die hohen, schwarzen Dächer. – In den Straßen aber war es noch dunkel. Nur aus den Milchläden fiel das rothe Gaslicht auf den Gangsteig und zeichnete dort einen lichten Kegel. Hie und da rollte ein linnenüberspannter Bauernwagen vorüber, der Waren für den Markt führte. Die Leute darauf hatten dicke Tücher um Hals und Ohren gezogen. Der Morgen war kalt. – Auch dem Manne schien zu frieren, der in der Mitte der Straße so eilig weiterhastete. Er hielt beide Hände in den Taschen und wich den Wenigen, die des Weges kamen, – in großem Bogen aus. Von Zeit zu Zeit blieb er stehn und schaute sich um. Es war ihm als wankte ein alter Mann schreiend hinter ihm her eine weite klaffende Wunde in der Brust mit großen, blutigen Augen im halb zerschmetterten Schädel. – Aber es war nur sein eigener Schatten, der ihm selbst bei jeder Bewegung ängstlich auswich. – Und er stand wieder. – War das nicht eine Blutspur was da hinter ihm herlief und so dunkel glänzte. Er zitterte. Er bückte sich, tauchte den Finger in die Wagenspur und führte ihn nah an die Augen. Es war fahler, grauer Straßenkoth. Da kam ihms zum Lachen. Danach beschleunigte er seine Schritte noch mehr. Jetzt – jetzt hörte er hinter sich laufen. Sein Herz schlug nicht mehr. Er hielt den Athem an. Er musste sich am nächsten Laternenpfahl halten. Jetzt knapp hinter ihm – Jetzt … Ein Bäckerbube trollte vorüber – »Bissel flott gezecht, Freunderl! Wie?« rief er dem Wankenden zu und verschwand in der nächsten Seitengasse. – Der Mann aber raffte sich auf, und ging weiter. Er schleppte sich kaum. Es war ihm als ging er nun schon viele, viele Jahre so fort. Was vorher war, das wusste er nicht. – Da klirrte das Geld in seiner Tasche – eilig drückte er die Hand darauf. Er wusste es doch. Aber er wollte schweigen davon. Es war nicht schön zu denken. – Er spürte ihn noch in der Nase, diesen Geruch, von dem Schweiße des alten Mannes – von dem frischen Blute …
    Da wurde schon eine Apotheke aufgemacht. Er ging hinein. Von dem starken Weine von dem Spanischen möcht’ er. Der verschlafene Lehrling achtet nicht auf den Mann. Er geht das Verlangte holen. Dem Arbeiter aber scheint es, als habe er in einem fort seine rechte Hand betrachtet. Da richtig – ein kleines Fleckchen – braunroth auf dem Hemdärmel. Er steckte ihn tief unter den Rock – … tief … Aber da war es ihm, als wüchse die grobe Leinwand innen von neuem über der Hand hervor und darauf ein Fleck so groß – – – so groß. Der Lehrling gähnte und nannte den Preis, während er die Flasche, sie in den Händen drehend, in ein rothes Papier einschlug. Der Mann bezahlte. Seine Hand zitterte, es war blankes, blankes Silber. – Ohne Gruß ging er.
    Endlich war er beim Hause. Das Thor war noch verschlossen. Er öffnete mit dem großen Schlüssel mühsam und ängstlich. – Die schwere Thür fiel hinter ihm jäh in’s Schloss. Der Hausmeister, der zufällig über den Gang schritt, sah den Mann misstrauisch an und murmelte etwas von – Gesindel. – Der aber war schon athemlos im vierten Stockwerke angelangt. – Mariechen stand auf der Schwelle und weinte: »Vater«, rief sie ihm entgegen, »Vater ich fürcht mich. – … D’Mutter, d’Mutter …«
    Der Unglückliche ahnte Alles. Er stürzte ans Bett. Da lag sein Weib starr und still. Die Augen waren weit, weit offen, aber verschwommen und ohne Ausdruck. Die blauen Lippen halb geöffnet, als wollte sie Luft schöpfen oder reden … Die Hände so kalt, … er begann sie zu reiben, zu rütteln … Alles, Alles umsonst. Da übermannte ihn eine Wuth, eine Verzweiflung, er warf das blanke Geld auf die grauen Dielen dass es dröhnte und

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