Erzaehlungen aus dem Nachlass
Marie erschrocken zur Seite sprang. Der Kleine aber erwachte, zupfte an der Decke der Mutter, und als diese still blieb, begann er zu lächeln, in die Händchen zu schlagen, und hatte seine Freude an den hellen, glänzenden Silberstücken, die da auf dem Boden so toll durcheinanderkollerten. Der Vater aber war über dem todten Weibe zusammengebrochen. – Mariechen wagte sich nicht zu rühren, und das Bübchen war zufrieden mit dem neuen Spielzeug.
Endlich richtete der Mann sich auf. Er schickte die Kinder fort. Sie sollten in den Hof gehen und nicht kommen, bis er sie riefe. – Als die beiden aber schon an der Thüre waren, rief er sie zurück. Küsste das Mädchen oft auf die blasse Stirn, und herzte auch den Kleinen bis dieser, ob der ungewohnten Liebkosung in Thränen ausbrach. – Jetzt hieß er sie gehen.
Ächzend stand er auf, ging zur Thür und verriegelte sie von Innen. – Dann legte er den Rock ab, – setzte sich auf den Bettrand zu seinem todten Weib und verharrte eine Weile regungslos. Jetzt begann er nochmals die kalten Glieder zu reiben und auf die bleichen, gespannten Lippen zu hauchen. Und ihm war, als stiege eine leichte Röthe in die eingefallenen Wangen. In fieberhafter Hast holte er die Flasche mit dem Weine, brach ihr den Hals an der Sessellehne, und flößte aus der hohlen Hand einige Tropfen den klaffenden Lippen ein. Aber es füllte sich nur die Mundhöhle und dann floss der dickflüssige rothe Trank der Todten über das bleiche, spitzige Kinn. – Da schien es ihm es wäre Blut! Er warf die Flasche von sich. Hat er auch dieses Weib gemordet? Sein Weib? – Ein Schauer schüttelte die nervigen Glieder. – Er glitt vom Bettrand herab – und sank vor einem alten verblichenen Christusbilde – dem einzigen im Zimmer – auf die Knie. – Er hob die breiten, braunen Hände hoch über den Kopf. Seine Lippen zitterten. Vielleicht betete er. Aber laut schrie er nur: Jesus Maria! – Es war indessen ganz Tag geworden. Er erhob sich. – Er wankte ein paar Mal in der Stube umher; dann trat er an das Fenster. Graue, leichte Wolken deckten den Himmel, da und dort aber blickte ein Stückchen blasses Blau hervor. – Er wandte sich jäh um, trat an den Herd. Dort lag noch das Messer, jenes zweite. – Er setzte sich auf den Rand der Platte. – Die Augen weit in die Ferne gerichtet, leer und gleichgültig; er fasste die Klinge. Langsam durchschnitt er die Pulsadern. – Keine Muskel zuckte in seinem fahlen Antlitz. – Dann bemerkte er das Blut. Das Blut, das von seinen Handgelenken niederrann. – Er fürchtete dieses Blut. Er wollte ihm entfliehn. Er sprang auf. Aber schon an dem Bette seines Weibes sank er kraftlos nieder. Quer über sie lag er. Langsam aber reichlich quoll das rothe Blut unter den Hemdärmeln hervor und versickerte in dem rohen Leinen des Bettuches.
Durchs Fenster aber blickte die kalte Märzsonne. Ein Strahl verirrte sich in die Stube und spielte wie ein glückseliges Lächeln um die Lippen der Todten. Im Treppenhause dröhnten schwere Schritte und klirrten Säbel.
Aus dem Hofe aber scholl leise Mariechens helle Kinderstimme, die das heute so früh gestörte Brüderchen einwiegte:
Schlaf, schlaf fein sacht…
Schutzenglein wacht!…
Silberne Schlangen
Ein Nachtstück
Durch den schwarzen, ragenden Wald geht leise die einsame blaue Mittsommernacht. –
Silber streut sie auf den wurzelgeäderten Pfad.
Leise flüstert sie. Sie erzählt den bebenden Blüten Märchen von Frieden und Glück. Und ihre Stimme klingt in dem heimlichen Rauschen der Zweige hold wie die Kirchenglocken im Dörfchen am Sonntag.
Die Blumen lauschen berauscht.
Sie heben die hangenden Häupter und schauen so dankbar der Nacht in das ernste blaue Auge…
Und die Vögel rütteln im Schlaf sich und fühlen den Segen der stillen traumstreuenden Göttin…
Stille rings …
So still wie das winzige Herz ist des schuldlosen helläugigen Kindes, so stille weitet sich jetzt die unendliche nächtige Welt …
Da – aber durchschneidet den Wald ein mächtiger grauer Erdwall.
Hin über den scheidenden Damm schleichen zwei gleißende Schlangen.
Bald glimmen sie auf in blauem, heimlichen Lichte, bald tauchen sie wieder in Dämmern die langen, ringelnden Leiber…
*
Ach, es ist, als sollten die Schlangen den Frieden zerstören…
Fern verlieren sie sich – fern im Dunkel der Mondnacht…
*
Aus dem Walde tritt ein Mann.
Verzweiflung zerrt an seinen Mienen.
Schweigend sieht er den Bahndamm auf und
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